Die Galerie-Hopper

Berlinstories: Art and Free Wine

Ich liebe Kunst. Sehr sogar.

Neulich, ein x-beliebiger Abend in einer schicken Galerie in der Auguststraße, wo ich zu einer Vernissage ging, um die Arbeiten eines neuen “extrem talentierten” jungen Künstler anzuschauen. Dass er extrem talentiert sei, meinte jedenfalls der Galerist. Ich stehe wirklich auf Kunst und habe oft das Verlangen, etwas, das mir gefällt, mitzunehmen. Aber genau wie viele junge Leute zwischen 18 und 35, die in Berlin leben, bin ich gerade etwas knapp bei Kasse und das günstigste Kunstwerk an diesem Abend war für mehr als 2.000 Euro zu haben. Soviel dazu.

Als ich in der Galerie ankam, traf ich gleich auf einige Freunde aus dem Nachtleben, die eben von einer anderen Ausstellung kamen, mir aber weder sagen konnten, was es da zu sehen gab, noch von wem. Will sagen, sie interessieren sich nicht so sehr für Kunst wie ich. Vielmehr gehen sie zu einer Vernissage aus einem einzigen Grund: so viel kostenlose Getränke wie möglich abgreifen und danach ausgehen zum Tanzen. Sie erinnerten mich an einen Schwarm Heuschrecken, wie sie in den Raum einfielen und direkt die Bar ansteuerten, ohne die ausgestellten Bilder auch nur annähernd wahrzunehmen. Ich nenne sie die Galerie-Hopper

Berlinstories: Art and Free Wine

Der gemeine Berliner Galerie-Hopper hat nie ein schlechtes Gewissen, dass er nur da ist, um sich zu betrinken und sich in keiner Weise für die Kunst oder den jeweiligen Künstler interessiert. “Schatz, was möchtest Du mir damit sagen?” meinte daraufhin eine von ihnen, nennen wir sie Uschi, zu mir. “Sie sollen doch dankbar sein, dass Leute wie ich hier sind. Auf diese Weise gibt es etwas, dass es sich wirklich lohnt anzuschauen.” Sie grinste dreckig, während sie das sagte. Ich musste auch lachen angesichts der öden Motive auf den ausgestellten Leinwänden.

Ja, es war witzig, aber dank Leuten wie ihr, passiert es nicht selten, dass sie dein Glas nachfüllen und dich dabei mit diesem Blick anschauen, der sagt: “Mich kannst du nicht linken. Ich weiß genau, warum du hier bist. Du und deine jungen Freunde könnt euch ja nicht einmal das kleinste Bild im Raum leisten.” Wenn mich jemand so ansieht, sage ich mir, wie arrogant es ist, zu glauben, das jung zu sein auch arm sein bedeutet. Na gut, in Berlin ist das meist auch so, ich weiß.

Berlinstories: Art and Free Wine

An diesem Abend warf ich also einen Blick durch die großen Glasfenster auf die ausgestellten Arbeiten und da ich sofort unbeeindruckt von dem war, was ich dort erkennen konnte, schloss ich mich den Galerie-Hoppern in einer Art stillschweigenden Abkommen an und verbrachte gemeinsam mit ihnen den Abend vor der Galerie, wo wir über vergangene und zukünftige Partys redeten, anstatt dem Rest der Besucherschar zuzuschauen, wie sie dem Künstler schmeichelten, der es meiner Ansicht nach wirklich nicht verdient hatte. Die Hopper wären nicht im Geringsten in der Lage gewesen, gute Kunst zu erkennen, wenn sie denn da gewesen wäre. Ich sah jedenfalls sofort, dass dies nur wieder eine Sammlung wirklich uninteressanter Bilder war.

Berlinstories: Art and Free Wine

Trotzdem fühlte ich mich ein wenig schlecht dabei, da mein Gewissen mich drängte, einmal näher hinzuschauen und dem jungen Künstler eine Chance zu geben. Am Schluss siegten aber doch der Wein und die unmöglichen, aber extrem unterhaltsamen Partystorys von Uschi und den übrigen Hoppern. Den Bürgersteig dreist blockierend, hatte ich einen tollen Abend und ab und an stahl sich einer von uns mit einigen der gereichten Plastikbechern (ja, ein guter Franzose im Plastikbecher) zur Bar, um Nachschub für alle zu besorgen.

Berlinstories: Art and Free Wine

Schließlich gingen wir dazu über, uns gleich ganze Flaschen zu holen, das schien uns eleganter zu sein, als aus den Plastikbechern zu trinken. Unter den missbilligenden Blicken des Galeristen, der schon ziemlich sauer zu sein schien, holten wir also nach und nach ganze Flaschen von der Bar nach draußen auf den Bürgersteig. “Was regt er sich auf, wir sind schließlich in Berlin!” meinte Uschi, als sie seinen Blick bemerkte.

Berlinstories: Art and Free Wine

Uschi kam vor ein paar Jahren aus der Schweiz, welches sie als “Scheiße-klein” bezeichnet, nach Berlin und arbeitet hier als Modedesignerin. Wie die meisten von uns, hatte auch sie nicht allzu viel Geld dabei. “Die Galeristen haben doch genug Kohle, da können sie auch mal etwas für junge Leute locker machen. Später, wenn ich mal Geld habe, kaufe ich vielleicht auch etwas Kunst.” Das sah ich genauso wie Uschi und ging selbstbewusst zur Bar, um eine neue Flasche Wein zu beschaffen.

Berlinstories: Art and Free Wine

Später am Abend waren die Getränke aufgebraucht. Zeit zu gehen. Ohne noch einen pflichtbewussten Blick auf zwei der Kunstwerke zu werfen, ließ mein Gewissen mich aber doch nicht gehen und jetzt, nach dem Genuss des Weins, fand ich nicht mehr allzu schlecht, was ich dort sah. Ich setzte die Nacht mit den Galerie-Hoppern fort, die sich nun zu Club-Hoppern entwickelten und dazu übergingen, ihre Freigetränke dort zu besorgen. Wieder nur ein üblicher Abend in einer Galerie in Berlin-Mitte.

Wirklich,

ich liebe Kunst.

Die Fotos wurden übrigens NICHT in der Galerie aus der Story gemacht, sondern bei diesem Event.

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