Ubahntipathie

Foto: Oliver Rath

Ein öffentliches Verkehrsmittel ist nach dem “1/3 und 2/3 Prinzip” konstruiert. Das bedeutet, dass bei maximaler Auslastung ein Drittel der Fahrgäste sitzen können und zwei Drittel stehen. Ist hinter dieser Ökonomie der Sitzmöglichkeiten auch eine gesellschaftliche Ordnung verborgen, die den Fahrgästen subtil vermittelt werden soll? Ist das vielleicht auch der Grund, warum immer mehr Berliner die Liebe zu ihrer U-Bahn verlieren und sich sogar eine weitverbreitete Ubahntipathie in der Bevölkerung abzeichnet? Überlegungen zu dieser neuen Krankheit der urbanen Mobilität und ein kleiner Filmtipp nach dem Klick.

Neugierig auf die Berliner U-Bahn war ich schon mit 13, als in meinen Heimatstädtchen das Musical Linie 1 rauf und runter gespielt wurde. Seit ich in Berlin wohne, sind mir tatsächlich schon alle möglichen tollen Sachen in der U-Bahn passiert. Von verabredeten U-Bahn-Parties, fantastischen Straßenmusikern, Gesprächen mit lustigen Obdachlosen bis hin zur vermeintlich großen Liebe habe ich in der Berliner U-Bahn alles mitgenommen, was man sich denken kann.

Doch trotz der vielen schönen Erinnerungen entwickelt sich auch bei mir langsam aber sicher eine voranschreitenden Ubahnantipathie aus. Ich weiß nicht, ob es die Geschichten von U-Bahn-Schlägereien sind, oder die besoffenen Schulkinder auf Klassenfahrt in der Hauptstadt, Straßenfegermagazine die keiner kaufen will, unfreundliche White-Trash Kontrolleure oder der Dunst nach Schweiß, Bier und Pisse, der ständig in den Wagons klebt.

Langsam aber sicher bin ich vom U-Bahn-Liebhaber zum Taxi-Snob mutiert und finde diese Entwicklung sowohl finanziell als auch charakterlich nicht begrüßenswert. Habe mir sogar ernsthaft überlegt ein Fahrrad zu kaufen (die Apocalypse naht!).

Doch ich glaube hinter dieser Ubahntipatie steckt etwas anderes. Je mehr ich mir die einzelnen Clips von Linie 1 anschaue, merke ich, dass ich vergessen habe, dass ich, als ich neu in Berlin war, jede U-Bahn-Fahrt als persöhnliches Abenteuer genossen habe. Die Clubs, Bars und Parties die ich damals besuchte, waren sicherlich nicht so toll oder aufregend wie heute. Doch das Gefühl, jeden Tag neue Dinge entdecken zu können, durch diese gelben unter- und oberirdischen Schlangen, hat mit der Zeit mehr und mehr nachgelassen. Im gleichen Maße wie auch die Neugier für die Menschen, die mit einem gemeinsam U-Bahn fahren. Früher habe ich oft Gesichtwahrsagerei gespielt und versucht zu erraten, wer sich hinter den Menschen rechts, links und um mich herum verbirgt: wo sie wohnen, wohin sie gerade fahren und warum. Dem hat eine Gleichgültigkeit platz gemacht die viel schlimmer ist als Taxifahren.

Für jeden, der auch glaubt an einer Ubahntipathie zu leiden und davon loskommen möchte, empfehle ich das Schauen der hier eingebetteten Videos bzw. sich in einer Videothek mit liebevollen Vintage Sortiment den Film von Linie 1 anzuschauen. Und vielleicht entdeckt man auch wieder den Spaß am U-Bahn-Fahren. In diesem Sinne: Fahr mal wieder U-Bahn – tue dir mal was Gutes an.

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