Die Berlin-Experten: Finding Berlin

Fotos: FindingBerlin

Mit unserer neuen Interviewserie Die Berlin-Experten möchten wir euch ab heute regelmäßig interessante Charaktere vorstellen, die sich mit ihrer Arbeit und Leidenschaft genau wie wir Berlin und seiner kulturellen Szene verschrieben haben und sich bestens auskennen mit Kunst, Mode, Musik, dem Nachtleben, Publikationen und allen interessanten Ecken und Enden der Stadt.

Den Anfang möchten wir mit einer Bloggerkollegin machen, die wir nun schon seit vielen Jahren mit großer Begeisterung verfolgen. Sara hat ihr online Magazin Finding Berlin 2010 begonnen und erfasst seither die Essenz und die kulturelle Vielfalt unserer Metropole. Durch Fotografie und Videos deckt sie ein erfrischendes und authentisches Bild von Berlin auf, und zeigt es aus allen möglichen Perspektiven. Neben anderen ausgezeichneten Autoren investiert Sara ihre Energie und Kreativität auf FindingBerlin, um ihren Lesern eine sehr persönliche, spannende Vorstellung davon zu bieten, wie Berlin sich und letztlich auch wir selbst darin verändern.Viel Vergnügen mit dem ausführlichen Interview nach dem Klick.

Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten um mit anderen Leute zu kommunizieren. Was hat dich am meisten motiviert, dich für ein visuelles Magazine zu entscheiden?

Ich denke, damals gab es von meiner Seite aus nicht viel über Berlin zu berichten. Jeder spricht über die Stadt, die Berliner sind wirklich narzisstisch über ihre (Wahl-)Heimat. Ich hatte bereits für viele Blogs und Magazine geschrieben. Als ich mit FindingBerlin anfing, wollte ich einfach eine bestimmte Wahrnehmung teilen – Details, die sonst schnell untergehen, wenn man durch die Stadt eilt (oder damit beschäftigt ist, zu viel zu reden). Am Ende wurde es eine gute Mischung von Text und Bild, und ich denke, dass dies jetzt am besten funktioniert um eine Vorstellung von Berlin zu vermitteln, auch für diejenigen, die dort immer schon gelebt haben. Es ist natürlich nur die Abbildung eines bestimmten Moments. Aber vielleicht werden wir in ein paar Jahren einige Artikel mit neuen Bildern wiederholen, damit man den Vergleich zur Vergangenheit sehen kann. Es macht Spaß zu vergleichen, man fühlt, wie die Zeit vergeht. Texte allein überbringen nicht dieses Gefühl.

Finding Berlin begann als One-Girl-Project und wurde bald zu einem vielseitigen Magazin. Hattest du Vorstellungen wie sich deine Auseinandersetzung mit Berlin entwickeln könnte?

Absolut nicht. FindingBerlin sollte einfach mein persönlicher Foto-Blog sein, in Vorbereitung auf eine einjährigen Reise rund um die Welt. Der Plan war, das Leben in Berlin zu dokumentieren, bevor ich den Rest des Planeten entdeckte, und danach, wenn ich wieder zu Hause bin, alle Städte und Reisen mit Berlin zu vergleichen. Im Zusammenhang mit diesem Plan, hieß es früher daher auch “FindingBerlin – eine zweiteilige Dokumentation”. Als ich Marcus und Nico ein paar Wochen nach dem Start der Website kennen lernte, merkten wir, dass wir alle die gleiche (visuell) Leidenschaft für die Stadt hatten. Sie setzten den “Berlin” Teil der Website fort, während ich weg war, und als ich sechs Monate später zurückkehrte, begannen wir, uns so wirklich damit zu beschäftigen. Mittlerweile sind wir ein viel größeres Team mit ein paar Gastbeiträgen. Es war bisher eine lustige Reise.

Warum sollten sich Leute gerade Finding Berlin anschauen? Wie unterscheidet es sich von anderen Berliner online Publikationen?

Naja, Ich würde nicht sagen, dass FindingBerlin besser als andere Websites oder Blogs ist. Wir haben nicht einmal zeitaktuelle Dinge, Empfehlungen für Locations oder so etwas. Aber so funktionier eine Reise nach Berlin normalerweise auch, nicht wahr? Es ist die Atmosphäre, die wirklich zählt, der visuellen Input, das schwache Gefühl, dass man nicht so gut beschreiben kann. Wenn man in eine andere Stadt reist, kann man sich anschauen, wohin man gehen kann und was es zu tun gibt, aber das ist in der Regel nicht die Erfahrung, die man nach Hause bringen möchte. Es sind die spontanen unerwarteten Dinge. Meiner Meinung nach, ist FindingBerlin nicht ein Reiseleiter, der die besten Plätze erklärt. Es zeigt einfach einen Eindruck von dem, was hier passieren kann, wenn man es zulässt. Meistens, spiegelt FindingBerlin unserer persönliches Leben wieder, nicht unbedingt etwas Besonderes oder Aufregendes. Da spielt eine gewisse Ehrlichkeit eine große Rolle. Und wenn nichts in unserem Leben los ist – dann is auch auf unserer Website nichts los.

Was ist der beste Vorzug daran ein Online-Magazins über Berlin herauszugeben?

Gästelistenplätze zu fast jedem Auftritt in der Stadt sind definitiv ein großer Bonus, haha. Was es so spannend macht, ist die Herausforderung darin, sich auf die Suche nach neuen Seiten von Berlin zu machen. Manchmal laufe ich herum und denke mir “Eines Tages sollte ich eine Geschichte über das hier schreiben, mich so richtig dabei reinknien.” Wenn es dann tatsächlich dazu kommt, bin ich in der Regel erstaunt von allen Sachen, die ich noch nicht einmal berührt hatte. Vier Jahre mache ich das nun schon und es fühlt sich so an, als ob ich Kreuzberg noch nichtmal dabei verlassen hätte. So viele Leute denken, sie kennen diese Stadt – die Architektur, Clubs, Menschen, Lebensweisen und so weiter – aber in Wirklichkeit ist es alles nur an der Oberfläche. Es ist ein herausforderndes Hobby, ständig mehr über die eigene Umgebung erfahren zu müssen. Es verändert deine Wahrnehmung. Es veränderte auch mein Studium an der Universität, denn es brachte mich dazu mich mehr für die Soziologie der Stadt zu interessieren. Da hat die Stadt einiges an Vorlagen zu bieten und das macht auch Spaß.

Warum spielt die Kultur in Berlin so eine wichtige Rolle in deinem Leben?

Hat sie nicht immer. Ich habe Berlin zuerst gehasst und nach zwei Jahren in einem Start-Up habe ich beschlossen, den Job zu kündigen und für eine Weile auf Reisen zu gehen. Ich hatte 9 Monate um meinem Trip zu planen und ich wollte die Zeit nutzen um „Reisen zu lernen“. Es klingt jetzt blöd, aber es machte zu der damaligen Zeit Sinn: bevor ich weggehe, muss ich herausfinden, warum so viele Menschen Berlin mögen und ich nicht. So hat es angefangen. Ich habe mich in die Perspektiven von Menschen versetzt, die die Stadt lieben. Ich habe ihre Erfahrungen gelebt. Plötzlich verstand ich, dass es eine reine Einstellungssache war. Berlin kann toll sein und schrecklich zugleich, es kommt nur darauf an, wie man an das Thema herangeht. In der Zwischenzeit habe ich eine Faszination für Berlin und das Reisen im Allgemeinen kultiviert. Nach meiner Reise bin ich zu der Ansicht gekommen: Berlin ist eigentlich super-einzigartig und ein wunderbarer Ort zum Leben. Wie konnte ich nur so blind sein?

Welche sind deiner Meinung nach die interessantesten Orte in Berlin?

Wow, das ist die schwierigste Frage aller Zeiten! Die interessantesten Orte sind diejenigen im Wandel, in einer sowohl negative als auch positive Art und Weise. Was wird mit dem Rest der leeren Fabrikgebäude passieren, der East Side Gallery und all den anderen Orten, die gerade in der Diskussion sind? Auf der anderen Seite gibt es wirklich keine Geheimnisse über Berlin. Man muss sich seinen Teil davon hier einfach irgendwie zusammennähen, und was für mich interessant sein könnte, kann für die nächste Person schon wieder super langweilig sein. Ich schulde dir aber eine klare Antwort, also werde ich sagen, dass ich noch immer gern die vielen Menschen beobachte, die täglich in den Görlitzer Park strömen.

Wenn du die Möglichkeit hättest, etwas in Berlin zu ändern, welche Änderungen würdest du vornehmen? Warum?

Berlin muss immer als Sündenbock für alles herhalten, was schief geht. “Ich kann nicht lieben, ich kann nicht schlafen, ich bin pleite, ich habe keine Arbeit, die Menschen sind erschöpft, die Szene ändert sich, usw.” Ich habe das so vielen Male gehört. Ist das euer Ernst? Berlin ist nur eine Stadt. Du bist das, womit du dich selbst umgibst, und wenn du anfängst dich nicht zu mögen, dann solltest du die Möglichkeiten der Stadt dazu nutzen um deine eigene Umgebung zu ändern. Verwende nicht die Attitüden oder die Infrastruktur als Ausrede für dein eigenes Versagen.

Eine andere Sache: Die Menschen leben hier ohne den Ort zu mystifizieren. Sie arbeiten, sie lieben und sie träumen vom Reisen. Ich finde, es ist okay zu sagen: “Berlin ist SUPER, du solltest zu Besuch kommen, du wirst Dinge sehen und erleben, wie nirgendwo sonst!”, aber im Moment reagieren die Leute darauf mit : “Ja, aber dann steigen die Mieten und der Lebenserhalt, und Investoren kommen und…” Das ist so widersprüchlich zu dem, wofür Berlin angeblich steht. Die gleichen Leute, die nie müde werden über steigende Mietpreise zu jammern, sind diejenigen, die ihre Wohnung am Ende über AirBnB für schwindelerregende Summen vermieten. Da gibt es so einen gewissen Missstand in der Logik. Ich muss es jetzt und hier einfach mal aussprechen: Wenn man etwas ändern will, muss man dafür kämpfen. Es gibt da zwar politische Ebene, die wir nicht übersehen sollten, aber wenn ihr ein Urteil über die Stadt abgeben wollt, dann solltet ihr unbedingt den größeren Zusammenhang dabei beachten. Ich kann keine weitere Diskussion darüber ertragen, wie Berlin sich ändert und wie teuer es sein wird, und dass die Hipsters und Yuppies uns aus unseren Räumen verdrängen, usw… Hört einfach mal mit diesem Hate auf!

www.findingberlin.com

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Devid

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