Strange Magic X: Das Lachen

Foto: Lena van Ginkel

Mit der Geschichte ” Das Lachen” endet unsere Strange Magic Reihe . Wir hatten eine Menge Spaß der  verzauberten Begegnung der Protagonistin zu folgen und  selber ein wenig in das mysteriöse fremde Lachen hineinzuphantasieren. Am Ende ist und bleibt Berlin eine Stadt der 100 Facetten, wie uns auch dieser kleine Geschichten-Wettbewerb gezeigt hat. An der einen Ecke kann man betrunken abstürzen und sich in sexuellen Handlungen verwickeln lassen, wie wir bei Happy Kater erfahren haben, an der anderen Ecke das Liebesleiden eines Fremden beobachten wie bei Phone Booth. Was am Ende zählt, ist, dass wir immer wieder Unbekanntes und Überraschendes entdecken können, was uns Freude bereitet und uns zum Staunen bringt. Irgendwo ist vielleicht gerade das der seltsame Zauber, der über Berlin liegt und dem wir alle so gerne immer wieder erliegen. Wir danken erneut den Sophiensaelen, diesen mit uns geteilt zu haben. Viel Spaß beim Lesen unserer letzten Geschichte von Lena van Ginkel nach dem Klick.

Das Lachen

I

Ich sitze im Kino. Es ist eines dieser schönen alten Kinos von Berlin mit Plüschsitzen und gepolsterten Wänden. Ich schaue auf die ganzen Pärchen, die am Samstagabend in die Vorstellung des neuen Woody Allen Films gehen und nach und nach die Sitzreihen füllen. Oh Mann, der typische Pärchenabend, denke ich. Bis der Film anfängt lenke ich mich zusammen mit meiner Freundin durch Gekicher und Kommentare über die schlechte Kinowerbung von den scheinbar endlos eintrudelnden Pärchen ab bis der Hauptfilm beginnt, es endlich dunkel wird und die Köpfe der Pärchen nur noch als anonyme halbe Silhouetten über den Sitzlehnen zu erkennen sind.

Ab der ersten Minute kann ich mich nicht mehr halten über die ziemlich witzigen und bösen Szenen und Dialoge die der Meister da wieder auf die Leinwand gebracht hat. Reiche, derangierte und gestürzte Frau muss bei ihrer prolligen Schwester einziehen und Lebens- und Liebeswirren werden schonungslos aufgerollt. Ich erkenne sofort den Plot des Theaterstücks von Tennessee Williams „Endstation Sehnsucht“. Das gibt dem Film noch zusätzliche melancholische Tiefe und mehr Möglichkeiten zu ironischen Seitenhieben.

Bald merke ich aber, dass ich an mehr Stellen lachen muss als der Rest des komplett gefüllten Kinosaals. So viele kleine Ähnlichkeiten mit meinem eigenen Umfeld in den überzogenen Charakteren auf der Leinwand und so große Lust zu lachen. Sozialdynamiken in Kinos sind schon echt speziell, denke ich und versuche, unangenehm berührt von den mentalen Pfeilen, die von allen Seiten auf mich und mein störendes Gekicher geschossen werden, mein Lachen zu unterdrücken. Ich bemerke erstmals den Mann, der neben mir sitzt, ich fühle, dass er sehr angespannt ist. Er versucht ebenfalls, nicht zu lachen. 5 Minuten später wieder so ein Detail auf der Leinwand… Ich unterdrücke mein Gelächter mühselig, er prustet los. Ich traue mich kaum mich zu ihm zu drehen. Als ich es tue sehe ich nur schemenhaft seine Gesichtszüge in der Dunkelheit des Kinosaals. Dann kurze Zeit später, ich lache noch einmal laut an der falschen Stelle und auch er kann sich nur mit viel Mühe zurück halten. Nach der ersten Hälfte des Films geben wir beide auf und Lachen zusammen einfach drauf los wo es uns passt. Schön ist es, jemanden zu haben, der sich über die gleichen Details freut wie ich. Es gibt mir ein ganz anderes Gefühl von Gemeinschaft in diesem großen Saal während meine Freundin stocksteif und ernst auf die Leinwand starrt und bestenfalls ab und zu müde lächelt.

Der Film geht leider irgendwann zu Ende und das Licht im Saal geht an. Ich schaue nach links auf den Menschen, der den Film mit mir erlebt hat, doch der Bann ist gebrochen. Er schaut mir kurz in die Augen, ich sehe die Andeutung eines Lächelns in seinen Mundwinkeln bevor er sich umdreht. Meine Freundin und ich strömen mit der Menge hinaus in die Dunkelheit.

II

Ich sitze in der U-Bahn. Mein IPod hat mal wieder keine Batterien, irgendwie muss ich in der Tasche an einen Schalter gekommen sein und so hat er sich entleert. Mist! Mir stehen noch 30 min. U-Bahnfahrt bevor. Mein Blick irrt auf der Suche nach Beschäftigung durch den Ausschnitt der U-Bahn, der vor mir liegt. Nein, ich werde nicht an diesen lästigen Fernsehmonitoren hängen bleiben. Also betrachte ich die matschigen Fußabdrücke auf dem Boden, das Muster der Sitze, mein Spiegelbild im Fenster und die Gesichter der anderen Fahrgäste. Alle für sich starren sie auf ihr Handy, ihr Buch oder genauso wie ich Löcher in die Luft. Viele wirken müde oder genervt. Ich wahrscheinlich auch, Arbeitsweg halt. Genauso wie es sein soll in der U-Bahn, das klassische Stereotyp. Anonymität der Großstadt, Bonjour Tristesse und so, denke ich. Aus der Ecke einige Meter hinter mir höre ich Gemurmel und Gelächter. Das hebt meine Laune wieder etwas während ich über die definitiven Vorteile des Radfahrens gegenüber den öffentlichen Verkehrsmitteln nachdenke. Irgendwann dringt das Lachen wieder in mein Bewusstsein. Schönes Lachen, denke ich bevor ich mich wieder in etwas anderes gedanklich vertiefe. Als ich hochschrecke sehe ich dass die nächste Station schon Hermannplatz ist. Beinah verpasst, ich muss raus. Wieder das Lachen. Der Kinofilm fällt mir wieder ein. Und der Typ neben mir. Ich drehe mich um. Zwei Männer sitzen zwei Sitzreihen von mir entfernt und unterhalten sich angeregt. Ist er das, der Linke? Ich kann mich kaum mehr an sein Gesicht erinnern. Aber es könnte sein… Ich lächele. Die U-Bahn hält an, der Bahnsteig vor dem Fenster hört auf im Zeitraffer vorbei zu flitzen. Ich gehe zur mittleren Türe des Wagons, drehe mich zu ihm um. „Endstation Sehnsucht!“ sage ich und wir blicken uns für einen Moment an. Ich glaube kurz in seinem Gesicht so etwas wie ein Wiedererkennen zu sehen bevor ich mich umdrehe und auf den Bahnsteig trete.

Text: Lena von Ginkel

Lena van Ginkel kommt aus einer kleinen Stadt bei Köln und führt seit über 10 Jahren eine On-Off Beziehung mit Berlin. Zwischendurch hat sie lange in Spanien und Frankreich gelebt und ist zweimal durch die Welt gereist bis sie sich endlich in Berlin zu Hause gefühlt hat. Sie lebt und arbeitet mit Musik und Theater und hat zwei kleine Blogs:

http://wosichfuchsundhasegutenachtsagen.wordpress.com

https://derblogderkleinendinge.wordpress.com.

Lest die erste  Strange Magic story.

Lest die zweite Strange Magic story.

Lest die dritte Strange Magic story.

Lest die vierte Strange Magic Story

Lest die fünfte Strange Magic Story.

Lest die sechste Stange Magic Story.

Lest die siebte Strange Magic Story.

Les die achte Strange Magic Story.

Lest die neunte Strange Magic Story.

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