Schokoladengenuss in Schöneberg

Foto: Gene Glover

Unsere neue Gastautorin Anabel erzählt euch in regelmäßigen Abständen die Ergebnisse ihrer ungewöhnlichen Ausflüge im Stadtdickicht Berlins.

An Weihnachten ist Berlin ja bekanntlich fast menschenleer. Alle Wahlberliner verfliegen – und die wenigen Verbleibenden können sich für einmal fühlen wie Will Smith in “I Am Legend.” Zwar ganz ohne Zombies – dafür mit tonnenweise Goldlametta.

“Plötzlich fühlt sich die Stadt an wie ein kleines, vertrautes Dorf,” sagte letztens eine Freundin – eine waschechte Berlinerin noch dazu. “Dann ruft man sich nach einem Jahr Funkstille an und sagt: Hallo, kommst du ra-haus?” Und dann? “Und dann hüpft man raus und geht zusammen durch die stillen Strassen.”

Das klingt wunderbar. Das mach ich auch. Berlin nur für mich! Aber – wie immer – brauche ich dazu eine Mission: Ich schlendere in einer Seelenruhe entlang Schönebergs geheimer Schokoladenmeile! Drei Schokoläden und ich – ganz allein. Gibt es ein schöneres Weihnachtsgeschenk an mich selbst? Ich möchte mich in tausend kleinen buntverpackten Schokoladenwürfelchen wälzen!

Mein erstes Ziel ist die Chocolaterie Estrellas in der Akazienstraße 21. Oft daran vorbei gelaufen, endlich Zeit für einen Besuch!  Erwartungsvoll öffne ich die Tür in den kleinen Raum: Es riecht nach – Überraschung! – Schokolade. Und, unerwarteterweise, nach Gewürzen. Ordentlich ist es hier. Und irgendwie asiatisch angehaucht: Am auffallendsten ist wohl der massive Holzschrank voller mir unleserlicher roter Schriftzeichen. Jede der 45 Schubladen ist sorgfältig mit einer Etikette versehen. “Rosenschokolade”, heisst es auf der einen.

Doch bevor ich fragen kann, was es mit der seltsamen  Kombination von Asien und Schokolade auf sich hat, werde ich abrupt abgewunken. Keine Zeit. Ein Blick in die offene Küche verrät: Hier wird gearbeitet. Auch für nur eine kleine Frage hat man keinen Moment: “Kommen Sie lieber im Januar,” wird mir gesagt. Es sei ja ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, und dies sei nur einmal im Jahr so. Dass meine Empfehlung noch im Dezember erscheinen soll, ändere an der Sache auch nichts. “Dann müssen Sie das wohl einfach so hinnehmen.” Mein Schokoladenherz erstarrt urplötzlich. Von Muße und Sinnlichkeit ist hier gerade nicht viel zu verspüren – aber die Schokolade wird schon gut sein, denn vor Bestellungen kann sich die Verkäuferin offensichtlich kaum retten. Etwas verdutzt stehe ich da. Die Dame reagiert auch nicht mehr weiter. Tja. Dann… geh ich wohl mal wieder.

Nun denn, das war nicht Schokolade, das war Brokkoli – und mir ist so gar nicht nach zwei weiteren solchen Erlebnissen. Aber aller guter Dinge sind drei, und schliesslich wollte ich mich ja heute im leeren Berlin suhlen. So schleppe ich mich also etwas zögerlich zum nächsten Stopp: Mamsell Schokoladen in der Goltzstraße 48. Hier, in pinkem Ambiente, wird auch gearbeitet. UND gelächelt – auch während der Vorweihnachtszeit. Sofort werde ich herzlichst empfangen, und taue auch gleich wieder auf.

Ich finde mich inmitten von liebevoll angerichteten Schalen randvoll mit allen möglichen, exklusiven Schokoladensorten; es funkelt bunt und aufmunternd aus allen Ecken. Berühmt ist das Mamsell aber, abgesehen von der hauseigenen Trinkschokolade, eigentlich für den handgemachten Kalten Hund – und zwar in allen möglichen Geschmacksrichtungen. Pflaume, Marzipan, Limette, oder Karamell, was auch immer das Herz für 2,30 EUR begehrt.

Und gerade als mein Schokoherz von Euphorie erfasst wird, entdecke ich sie: Die Wunderkammer. In einem kleinen Hinterzimmer glitzert allerhand Süßes, jedoch Unverdauliches. Zu bestaunen (und zu kaufen) gibt es  wunderhübsche Gebäck-Etageren, gläserne Butterdosen, filigranen Schmuck, farbenfrohe Teller oder auch Weihnachtskugeln geziert vom Bauch der hochschwangeren Maria – jeder Zentimeter wird genutzt. Hier will ich nicht mehr weg. Hier gefällt es mir.

Aber auch dieser Nachmittag dauert leider nicht ewig – und so begebe ich mich schließlich ein paar Schritte weiter zu meiner persönlichen Krönung der Meile: Dem Winterfeldt Schokoladen in der Goltzstraße 23. In der ehemaligen, nun denkmalgeschützten Apotheke aus dem vorletzten Jahrhundert hat sich die edle Süßigkeit in jeder Ritze festgesetzt, denn wo das Auge nur hinschaut, erblickt man Pralinen, alle Arten von bunten Tafeln, jeden Prozentsatz an Kakao, den man sich vorstellen kann. Makronen, Kuchen, Scones – oder gar Schokolade, die als Salami oder als kubanische Zigarre getarnt ist.

Experimentierfreudige versuchen sich hier an Trinkschokolade spanischer, holländischer, oder gar aztektischer Art. Ich aber begiesse hier meine Seele (wie so oft!) mit meinem geliebten “Marocchino”: Einem magischen Tässchen voller geschmolzener Schokolade, ausgegossen mit Espresso und mit von Kakao bestäubten Milchschaumhäubchen. Dazu gibt es sogar eine von Schokolade überzogene und mit Kakao bepuderte Mandel. Ich meine – für 2 EUR ein Stück Himmel in Berlin? Ich bleibe!

Foto: Gene Glover

Das Urteil ist klar: Mission trotz Anfangsschwierigkeiten geglückt. Zufrieden und aufgezuckert begebe ich mich auf den Heimweg. Draußen sind die Straßen leer, es wird es schon wieder dunkel. Da wird man trotz Marocchinoenergieschub gleich wieder müde – es hilft nur eines: Auf dem Sofa in die norwegische Wolldecke eingewickelt einen schmalzigen Film schauen. Mit einer Tasse heißer Chili-Schokolade zur Hand, versteht sich. Der Winter kann kommen!

Anabel ist eine appenzeller Auswanderin in ihren Zwanzigern; sie studiert Nordamerikastudien in Berlin, arbeitet als Newsletter-Autorin in einem Museum in Mitte und entdeckt in ihrer Freizeit die Stadt mit ihren Wundern. Ihr Blog dokumentiert ihre oft kuriosen Befunde fotografisch, aber vor allem beinhaltet er viele kleine Anekdoten über das Leben von jemandem, der aus einem ebenso skurilen Nachbarsland stammt.

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