Unsere neue Gastautorin Anabel erzählt euch in regelmäßigen Abständen die Ergebnisse ihrer ungewöhnlichen Ausflüge im Stadtdickicht Berlins.
Es passiert doch relativ selten, dass ich mich plötzlich auf einem winzigen Dachbalkon anstelle eines Kinos, wie ursprünglich geplant, wiederfinde. Mit einem Limettenbier in der Hand und Ausblick auf ein Karussell.
Aber am vergangenen Sonntag wurde mir wiedermal bewusst, dass ich ja in Berlin lebe – und dass hier prinzipiell nichts überraschen sollte. Und deswegen: Wenn man das Kino Sputnik sucht, so findet man den versteckten Eingang dazu im Hinterhof eines Hinterhofes. Dass die Treppen dann fünf Stockwerke in die Höhe schießen und es keinen funktionstüchtigen Aufzug gibt, sollte eigentlich ebenfalls wenige Augenbrauen heben. Und dass sich beim Erreichen der obersten Etage im Nu eine leuchtend rote kleine Welt mit Bar und winzigen Balkonen eröffnet, gilt hier doch eigentlich als logisch — Berlin halt.
Trotzdem. Ich bin einfach immer noch überrascht. Während ich vor Filmbeginn ruhig an meinem Limettenbierchen schlürfe, beobachte ich verzaubert den Kinonachbarn dabei, wie er still und zufrieden vom Abendsonnenschein übergossen seine Dachoase pflegt, ganz allein, hier oben, wo Berlin so idyllisch vor sich hinschlummert. Ich kann es gar nicht begreifen, dass wir einen Balkon für uns alleine haben. Sollte nicht längst ganz Berlin hier sein? Zugegeben, es ist ein Schönwettersonntag um 18:00 Uhr; Leute, die ein Leben haben, versammeln sich vermutlich gerade um einen Kugelgrill im Schlesischen Busch und braten gefüllte Zucchini. Nun denn, mehr Abendruhe für mich!
Die Anfänge des Sputniks sind durch so sagenhaft, wie dessen Lage. Vor „ungefähr“ 25 Jahren wurde es als kleines Programmkino eröffnet, aber so genau kann man das nicht sagen – jedenfalls wollte man damals eine Art Bildungskino schaffen. Auch wieso das Sputnik „Sputnik“ heißt, ist mehr oder minder unklar. Dass zum Eröffnungszeitpunkt für den größeren der beiden Säle gerade keine Sessel aufzutreiben waren, hinderte niemanden am Projekt Sputnik: Es stellte sich heraus, dass sich auch aus Backsteinen durchaus brauchbare Sitzgelegenheiten formen lassen. Ich wiederhole: Backsteine. Aber wie gehabt, auch der unerwartete Anblick eines Kinosaals voller Backsteinsessel sollte in Berlin nicht überraschen. Und – ich habe sie getestet – bequem sind sie dank der Kissen auch. (Die aufrichtig warmherzige Bedienung hinter der Bar wirft an diesem Punkt ein, dass es anfänglich sogar Holzbänke gewesen seien, aber diesbezüglich herrscht ebenfalls Ungewissheit).
Kurz vor dem Filmstart will ich mich mit einer Tüte Popcorn beschenken. „Oh, wir sind leider ein popcornfreies Kino,“ werde ich freundlich informiert. Die Aussage klingt so gefestigt, dass ich mich wundere, warum dies so ist? „Ah, das Popkorn-Thema,“ erklärt mir ein weiterer Angestellter, „das ist ein ideologischer Krieg!“ Gewisse Mitwirkende seien pro Popcorn, andere dagegen; das Ganze sei nicht zu lösen.
Eines ist hingegen sicher: Das Sputnik ist auch heute noch ein Ort, der Wert auf Qualität legt. So sieht es sich als anspruchsvolles Arthouse Kino und ist bemüht, Berlin mit Originalfassungen und tollen Events zu versorgen: An jedem dritten Mittwoch des Monats können Filmemacher beispielsweise ohne Anmeldung ihre Kurzfilme präsentieren; diese Abende seien sehr gut besucht und einen Privatbalkon kann man da dann selbstverständlich vergessen. Aber auch thematische Filmreihen kommen gut an; davon hat das Sputnik ebenfalls einiges an Lager.
Letztendlich sind es Momente, wie die unverhoffte Entdeckung eines Sputnik-Balkons, die mich dann plötzlich wieder daran erinnern, dass sich jenseits unserer Fußmatte eine Stadt befindet, die gerade mehr einem riesigen Spielplatz als einer Hauptstadt gleicht. Und jetzt, jetzt wird es erst mal Sommer – jetzt gibt es wieder Brandenburger Seen und Biergärten und Teufelsberge oder Flugfelder, auf denen man Drachen fliegen lassen kann.
Aber auf Filme verzichten müssen Berliner des schönen Wetter wegens trotzdem auf keinen Fall – seit Mitte Mai gibt es nämlich wieder das Freiluftkino INSEL im Cassiopeia. Da lässt sich der Berliner Sommer glatt als praktisches Gesamtpacket genießen: Mit einer Kombination aus Film, Biergarten, Liegestühlen, gratis Deckenverleih sowie Barbecue steht es ganz zuoberst auf meiner Liste. Und, so munkelt man, im Freiluftkino INSEL hat Popkorn den ideologischen Krieg gewonnen.
Text & Fotos: Anabel
Kino Sputnik
Hasenheide 54, 10967 Berlin. 3. Hinterhof, 5. Stockwerk.
Körtestraße 15-17, 10967 Berlin. 1. Hinterhof, 5. Stockwerk.
U7 U-Bahn-Station Südstern
Telefon: 030/ 694 11 47