Die Bartmonologe: Paris

Du schlägst die Augen auf. Und das erste, was du siehst, ist ein Poster von Venedig. Du fragst dich jedes Mal, warum über dem Stuhl ein so kitschiges Poster hängt. Wärst du jetzt in Venedig, wäre es dir peinlich eine Karte mit dem Motiv an deine Lieben zu schicken.

Aber wenn du hier in diesem Bett schläfst, in dem du jedes Jahr ein paar Nächte verbringst, freut dich der Anblick des vergilbten Sonnenuntergangs über der Rialtobrücke. Denn du weißt, wenn du Venedig siehst, bist du in Paris.

Beardicted Paris

Dann bist du in einem kleinen Zimmer, im ersten Stock eines alten Mietshauses an der rue du Faubourg Saint Martin. Im 10. Arrondissement. Und dann machst du das, was du immer machst nach deinem Blick auf den Canal Grande: Du duschst dich in der rauen, kleinen Wanne. Versuchst mit dem seichten Wasserstrahl das Shampoo aus deinem Haar und deinem Bart zu waschen, machst dich bereit für Paris, setzt die Baskenmütze auf, läufst über den kleinen Hof mit den Dreirädern und schiebst mit der rechten Hand den Messingriegel an der dunkelgrünen Hoftür zur Seite.

Du stehst auf dem Gehweg und blickst auf einen afrikanischen Haarsalon. Dann gehst du nach rechts. Vorbei an der kleinen Boulangerie in die Passage Brady. Durch das Spalier unzähliger indischer Restaurants. Vorbei an Händen, die dich zum Mittag bitten. Und du denkst, irgendwann gehst du mal nicht vorbei. Irgendwann solltest du dich setzen. Ein Curry essen. Denn du bist so oft hier vorbeigegangen. Und man kann im Leben nicht immer nur vorbeigehen.

Beardicted Paris

Doch du gehst weiter. Machst das, was du immer machst. Kaufst dir in der rue Saint-Martin in einem der kleinen arabischen Läden ein Baguette, ein paar Tomaten, Eier, Käse für dein Frühstück an dem großen runden Tisch mit der beigen Wachstischdecke und dem Stapel alter französischer Zeitungen. Oben im zweiten Stock bei deiner Vermieterin. Aber noch stehst du an der Kasse des kleinen arabischen Ladens und sagst was du halt sagen kannst auf Französisch: Merci. Und dann Au Revoir.

Du hast jetzt eine weiße Einkaufstüte in der Hand und machst dich auf den Heimweg. Du bleibst immer wieder kurz stehen. Hast heute das Gefühl, dich vergewissern zu müssen, dass du in Paris bist. Lehnst dich an eine Hausecke, schaust auf Häuser, genießt die Sonne. Und siehst einen Mann auf dich zukommen. Du vermutest, einer der arabischstämmigen Einwanderer, die hier in der Straße arbeiten. Einen Mann mit vollem Bart und brauner Haut. Er fragt dich etwas. Doch du verstehst ihn nicht. Die Sprache ist dir fremd. Du stotterst etwas auf Französisch, blamierst dich. Dann auf Englisch. Du enttarnst dich als Tourist, ärgerst dich, dass du es immer noch nicht geschafft hast Französisch zu lernen. Und dann bekommst du das schönste Kompliment deines Lebens.

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Du hörst den Fremden mit dem arabischen Aussehen gebrochen Englisch zu dir sagen, er dachte du kämst aus seiner Heimat. Er dachte es wegen deinem dunklen Bart. Und dann nickt er anerkennend hinauf zu deinem Gesicht. Lobt das Gestrüpp auf beiden Wangen. Über deiner Lippe. Unter deinem Kinn. Du freust dich und bedankst dich. Musst aber verneinen. Du erfährst nicht, was er eigentlich wollte und wunderst dich, wie man einen blassen Kerl mit blauen Augen nur so falsch verorten kann. Aber du willst es ihm glauben, streichst dir durch den Bart und gehst mit deiner weißen Tüte und deiner stolzen Brust zurück in das Appartement, das dir für fünf Tage gehört.

Und du sagst dir wie immer, wenn du hier bist, irgendwann bleib ich.

Text: Lars W., Fotos: Alicia Kassebohm

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Alicia Kassebohm ist freie Fotografin und Kommunikationsdesignstudentin am Institude of Design in Berlin. Letztes Jahr hat sie den 3. Platz beim Deutschen Jugendfotopreis belegt. Für iHeartBerlin spricht Alicia mit interessanten Männern über ihre prächtigen Bärte. Wenn du selbst für eines ihrer  außergewöhnlichen Bartportraits fotografiert werden möchtest, dann melde dich bei ihr unter a.kassebohm@me.com.

Mehr zu ihrer Arbeit auf: www.aliciaka.com

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