Berliner Kunst: Ein Interview mit Pola Sieverding

Auch wenn viele ihre Kunst eher grotesk als ästhetisch empfinden würden, Eindruck hinterlässt die Berliner Künstlerin Pola Sieverding allemal. Mit ihren Arbeiten zu verschiedenen Aspekten von Männlichkeit ist sie uns ins Auge gestochen und wir wollten mehr erfahren. In unserem Interview mit ihr spricht zu über ihre Kunst, Berlin und zukünftige Projekte.  Das ganze Interview gibt es nach dem Klick.

Liebe Pola Sieverding, Danke für das Interview. Du bezeichnest ja dich selbst als bildende Künstlerin, die im Bereich der linsenbasierten Medien arbeitet. Was kann man sich darunter konkret vorstellen und was ist der Unterschied zur Fotografie und Videokunst?

Es gibt keinen Unterschied, es handelt sich bei lens-based media (was auf deutsch zugegebener Maßen etwas hölzern klingt) lediglich um einen Überbegriff, der eher im angloamerikanischen Sprachgebrauch gängig ist. Er umschreibt sämtliche Verfahren, die im weitesten Sinne mit fotografischen Linsen, also Film, Video, Fotografie zu tun haben.

In deinen Werken sind entweder Menschen porträtiert oder Architektur? Inwieweit spielen Städte eine Rolle in deiner Arbeit?

Meine Arbeit ist ohne die Stadt als Bühne gar nicht denkbar. Mich interessiert das Urbane als Realität und als Sehnsuchtsort, als Austragungsort von Begehren, Konflikten und sozialen Gefügen.

Was fasziniert dich an Berlin? Wie kam es das du hier lebst und arbeitest und was magst du Besonders daran?

Für mich war ganz früh klar, dass, wenn ich in Deutschland bleibe, nur Berlin als Wohn- und Arbeitsort in Frage kommt. Hier geht es um sich ständig verschiebende Dynamiken, hier kann ich morgens in die Gemäldegalerie gehen, abends zum Wrestling und nachts arbeiten. Ich habe das Gefühl, das die Stadt rotiert, ich aber nicht den Anschluss verliere, wenn ich mich mal für eine Weile ausklinke. Überhaupt mag ich es, Berlin immer wieder zu verlassen und dann endlich zurückzukommen.

Gibt es für Dich in Berlin einen speziellen Ort den du liebst und warum?

Es gibt eine Stelle auf der Leipziger Strasse, wenn man vom Alex Richtung Potsdamer Platz fährt, da hat man für einen kurzen Moment das Gefühl, in einer Großstadt zu sein und erahnt, dass es sich bei Berlin auch um eine Metropole handeln könnte. Am Potsdamer Platz ist der Traum dann allerdings ziemlich schnell aus… Und die Kinos liebe ich in Berlin, das International für seine Großzügigkeit, das Arsenal für sein Programm, das Delphi für seine Eleganz.

In deinem Videoarbeiten und Fotos spielen oft die unterschiedlichen Stereotype von Männlichkeit eine Rolle. Was fasziniert dich am Mann in der Kunst?

Es ist nicht das spezifisch Männliche, dass mich in meiner Arbeit interessiert, denn diese Perspektive setzt die Konzeption einer klaren Geschlechteridentität voraus. Diese ist weder in biologischer noch in sozio-kultureller oder politischer Hinsicht haltbar und darüber hinaus wenig produktiv. Die Akteure in meinen Arbeiten entwickeln ihre Faszination vielmehr aus ihrer Vielfalt, aus ihrer Widersprüchlichkeit, die ihre Signifikanz in ästhetischer, sozialer und kultureller Hinsicht erzeugt. Dies ist auch eine Schnittstelle zu meinen architektonischen Arbeiten. Die Stadt als Bühne des Widerspruchs, in der Ästhetiken und Funktionen divers nebeneinander stehen und den collagehaften Rahmen des Sozialen bilden.

Gibt es zurzeit irgendwelche aktuellen Projekte oder Kollaborationen die für dich besonders spannend sind?

Mit Schiesser habe ich gerade ein sehr schönes Projekt entwickelt. Neben neuen Arbeiten, die zu sehen sind, habe ich dort mit meinem Bruder, Orson Sieverding, eine 10inch Vinyl Platte präsentiert. Orson macht die Musik zu vielen meiner Videos und jetzt einen der Soundtracks auf Platte zu haben, ist toll.

Wie ist die Coop mit Schiesser entstanden? In welchem Spannungsverhältnis stehen für dich Mode und Kunst zueinander?

Ich habe bereits letztes Jahr mit Schiesser zusammen gearbeitet und den Tank Top Klassiker neu gestaltet. Daraufhin entstand die Idee, für den Store der Revival Kollektion von Schiesser ein Konzept zu entwickeln, bei dem Kunst und Mode direkt aufeinander treffen.

Generell geht es in meiner Arbeit ja immer um Körperbilder und deren Brüchigkeit und dazu gehört natürlich Kleidung, die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen, die Begehren oder auch politische Ansichten signalisiert.

Das Tank Top hat mich in seiner Bedeutung als Fetisch interessiert, als Transmitter unterschiedlichster Männlichkeitsbilder: ob als “Wifebeater” bei Marlon Brando in “A Streetcar named Desire”, ob beim Hip Hop die Assosziation mit der Strasse oder der Stilisierung bei Homosexuellen, immer geht es um einen stark körperlichen Bezug. Und das interessiert mich und habe ich auf unterschiedliche Weise sowohl im Film als auch in den Fotoarbeiten, die im Store zu sehen sind, verhandelt. Die Assoziationen, die ein Kleidungsstück weckt, lösen unterschiedlichste, teils widersprüchliche Geschichten aus, je nachdem welche eigene Beziehung man zu diesem sehr körperlichen Kleidungsstück hat.

Was kann man in naher Zukunft von dir erwarten?

Derzeit arbeite ich an einer neuen Serie von Fotografien, die hier in Berlin beim Wrestling entstehen. Was mich beim Wrestling interessiert ist die physisch vermittelte Theatralik, der in der dramatischen Pose verhaftete Körper: Ich sehe in der großen Geste, der Maskerade und der klaren Inszenierung eine potentielle Drag Show, die ein hoch komplexes und vielfach verschränktes Bild kultureller Imageproduktion eröffnet.

Eröffnest du bald irgendwelche Ausstellungen die wir unbedingt anschauen müssen?

Am 23. Januar eröffne ich in der Anna Jill Lüpertz Galerie meine nächste Ausstellung. Dort zeige ich dann erstmals Arbeiten, die beim Wrestling entstanden sind. Und Ende Februar eröffnet im Neuen Berliner Kunstverein die von Britta Schmitz kuratierte Senatsstipendiatenausstellung.

Vielen Dank für die Zeit und die Muße!

Bis Januar kann man den von Pola Sieverding gestalteten Schiesser Revival Store in der Mall of Berlin am Leipziger Platz besuchen. Dort kann man ebenfalls die komplette “Artists for Revival” erwerben, für die unterschiedliche Künstler wie zum Beispiel der Berliner Marc Brandenburg ein Feinripp Tank Top gestaltet haben.

Mehr erfahren über Pola Sieverding auf www.artnews.org/polasieverding

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