Finde den Weg zurück nach Berlin

Fotos: Linus Ma

Einmal Traum hin und zurück bitte! The American Dream. Ich hab’ bis heute nicht genau verstanden, was das jetzt genau ist. Sieben Monate USA haben mir nur meinen ganz persönlichen Traum präsentiert. Unvorbereitet wurde ich reingeworfen in den glitzernden Strudel der Stadt der Engel und genauso plötzlich wieder ausgespuckt. Was kann man danach überhaupt noch mit Berlin anfangen? Ein Erfahrungsbericht über das Aufwachen aus pinken Träumen.

„Ölv Öro Fünfzüch, büdde!“ Die runzelige Edeka-Kassendame starrt aus ihren Kajalaugen gelangweilt auf ihre kleinen, faltigen Finger, aus denen lange, pinke Nägel wachsen. Sie umgibt eine Aura von schlechter Laune, Schlaflosigkeit und Zigarettenrauch. Ich kann mir das faszinierte Mustern nicht verkneifen. Sie schaut hoch. Ich hole schnell das bunte Spielgeld raus und lege es der Dame freundlich hin, Distanz bewahrend. „Kas’nbong?“ – „ Nee, geht schon.“ Ich packe den mittelalten Gouda in meinen Rucksack und mache mich grübelnd auf den Nachhauseweg: Abenddämmerung, grauer Asphalt, Autoscheinwerfer, verbrauchte Gesichter, nicht mehr ganz Winter, zu früh, um es Frühling zu nennen; Berlin im März. Ich mach’ die zu dünne Jacke weiter zu. Und während mir Deep-House Klänge ins Ohr wabern, frag ich mich so: Warum genau find’ ich hier jetzt alles so komisch? Reversed-Culture-Shock oder was?

Denn – ich war dann mal weg: Sieben Monate Auslandsstudium, sieben Monate Kalifornien, in Santa Barbara, nördlich von Los Angeles. Nun, sieben Monate später, laufe ich nach Hause, vorbei an Norberts Spielwaren, Tiamo Pizza- Lieferservice und Sylvias Haarstudio und mich überfällt die Wehmut. Sehnsüchtig denke ich an Palmen, die sich in den blauen Himmel strecken, an das gleißende Licht, das mir in den Augen brennt, und die Coolness, die mir aus allen Ecken entgegenschreit. Los Angeles, diese graue, grelle, glitzernde Akkumulation der Coolness.

Ich hatte mir doch fest vorgenommen, diese Stadt zu hassen. Diesen Ort, wo alles eher Schein als Sein ist, wo Plastic faces organic veggie gluten free Morning-Tacos essen und über das nächste Pop-up Artshow Happening diskutieren. In Berlin sind die Leute entspannt. In Berlin kann man sein, wie man ist. In Berlin sitzt man mit ‘nem Sterni im Dreck an der Spree und gehört zu den coolsten Kids der Stadt. Doch, wo ich jetzt an der heruntergekommenen Grundschule und dem abrisswürdigen Gesundheitsamt vor meinem Haus vorbeilaufe, will ich zurück. Will wieder unbeschwert den Sunset Boulevard entlangcruisen, den Arm in die warme Sonne halten, während the 1975s mir ins Ohr singen: „This city is out of water, but be careful or you’ll drown.“ Zurück zu diesen Wochenenden, wo alles übertrieben war, zu viel und over the top. Wenn man das Gefühl von Endless summer hat und dein Vitamin-D-Gehalt Partys feiert, wer braucht da noch Drogen?

Und ja, auch die Liebe spielte einen Part in diesem Stück. Das schwule Berlin hat es mir nicht leicht gemacht, die Stadt der ewigen Hedonisten, des No-commitments und casual Rumgevögels. „Ich bin grad echt nicht in der Lebensphase, wo ich ‘ne Beziehung eingehen kann, sorry.“ – „Jaja, komm is’ gut, halt die Klappe. Du willst ficken, ich hab’s schon kapiert, dann zieh’ dich auch aus jetzt!“ „Wär ja witzig, wenn du dich dann so richtig in den USA verknallst“, meinte da der Freundeskreis; – „Ja, haha, wär’ ja witzig“, meinte ich, nur so halb überzeugt.

Und so fand ich mich sechs Monate später wieder, ein Samstagmorgen, in einem schäbigen Hostel in Koreatown LA, mit einem üblen Kater, einer giggelnden besten Freundin neben mir im Bett und einer signifikanten Nachricht auf meinem Handy: „It was nice meeting, dancing and kissing you last night. Hope you come back to LA sometime before you leave. I’ll take you around to some fun things.“ – Ups, was war da denn jetzt passiert? Dieser Moment, wenn du schleichend realisierst, dass du nicht nur irgendwen, sondern den Besitzer der Party, 31, handsome, und Mr. LA Nightlife persönlich, geangelt hast. Eine Woche und Attacken manischen Drängens von besagter Freundin später („Der kennt jeden in LA. Du musst dahin!“) starrte ich im ratternden Amtrack-Zug auf die glänzende kalifornische Küstenlinie. Destination: Los Angeles. So ganz wusste ich nicht, worauf ich mich da gerade einließ. Aber wie die jungen Leute heute so schön sagen: YOLO.

Was folgt? – Ein Wochenende, ein Strudel, ein Rausch; der Fensterblick in ein Leben, das ich nie führen werde … oder doch? Wenn in Pools von 4-Sterne Hotels der Champagner in Strömen fließt, wenn du von Wasserbetten auf die Skyline LA’s runterschaust, wenn der Prosecco für 40 Dollar nur der Vorsuff-Suff ist und das alles als Casual Saturday bezeichnet wird, was kann mich danach noch begeistern?

Ich steh vor meiner Haustür. Der grummelige Opa aus Parterre links steht im Hausflur. „Morjen!“ Ich lächle freundlich und seufze innerlich. Im Kopf habe ich schon das Ticket zurück gebucht. Ja, ok, ich liebe Berlin, ich liebe meine Freunde, aber irgendwie funkelt es nicht mehr, denk ich so. In LA waren die Menschen schöner, freundlicher, in LA strahlte die Sonne, pulsierte das Leben… Hier bin ich allein.

Und dann halte ich inne. Und rüttel’ am pinken Filter in meinem Kopf. Habe ich nicht ein halbes Jahr lang nichts Anderes gemacht als mich über die USA aufzuregen, über Hyperkapitalismus, Armut, die einem ins Gesicht springt, und Menschen, die gar nicht merken, wie sie zu Hamstern im Laufrad werden? All die leeren Gesichter stehlen sich zurück in mein Gedächtnis: der verhärmte Seven-Eleven-Verkäufer um die Ecke mit niemals enden wollenden Schichten, der Mann im Bus ohne rechtes Bein und linken Arm, der jedem, der ihn nur anschaute, seine traurige Lebensgeschichte entgegenlallte, die Frau, die in Downtown LA all ihre Habseligkeiten in einem Karren die Straße rauf und runter schob, komplett ausdruckslos, während Whitney Houstons Songs aus einem tragbaren Kassettenrekorder knisterten.

Der pinke Dunst lichtet sich, und der graue Himmel Berlins glänzt schon ein klein bisschen mehr. Da hat wohl mal wieder der mentale Dreckfilter zugeschlagen. Ja, ich hatte womöglich the time of my life. Aber, wenn die schwule community LA’s eine Party als coolstes Event der Stadt feiert, weil es Berlin-inspired-Music inklusive Dark-Room und Lederoutfits gibt, ist der Ort, den man neue Heimat nennt, eigentlich doch schon durchgeknallt genug! Man will ja doch immer das, was man eben gerade nicht haben kann.

Ick bin Berliner, und das ist auch gut so.

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Text: Andy D, Fotos: Linus Ma

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