Haben wir in Berlin noch Träume?

Als ich klein war, dachte ich, dass alle Dinge im Leben einer bestimmten Struktur folgen müssen. Wie ein Brief durch das Postsystem läuft oder wie meine große Schwester, die dem Schulsystem folgt. Es schien so, als ob das die Art wäre, wie das Leben nun mal funktioniert und die Art, wie wir wachsen und uns weiterentwickeln. Wie Pacman bewegen wir uns in einem bestimmten Rahmen von A nach B, so schnell und effizient wie auf Eisenbahnschienen, mit den wenigen Stops, bei denen wir aussteigen oder umsteigen können. Es ist sicher, das habe ich gelernt. Es ist bequem. Wir gehen in den Kindergarten, die Vorschule, das Gymnasium, zur Universität und beginnen zu arbeiten, beginnen eine Karriere aufzubauen, die letztlich viel Engagement und Ausdauer fordert. Junge Menschen in ihren 20ern, wie ich, die ihr ganzes Leben solchen Systemen gefolgt sind, werden nun langsam ungeduldig – wars das? Warte, was war das nochmal für ein Traum, dem ich bisher immer gefolgt bin?

Die Möglichkeiten, wie du dich und dein Leben gestalten kannst, sind endlos. Die Geschichten von Leuten, die es gewagt haben, aus diesen Systemen auszubrechen, sind überall im Netz verstreut. Haben wir denn eigentlich noch diesen einen Traum, oder ist es der Traum, so viele Errungenschaften wie möglich anzuhäufen? Gibt es diesen einen Beruf, in dem du immer noch träumst zu arbeiten, oder sind es viele oder sogar gar keine?

In letzter Zeit wurde ich neugierig, was Leute in meinem Alter in Berlin vom Leben wollen. Erinnert ihr euch, als ihr im Kindergarten wart und euch ausgedacht habt was ihr werden wollt, wenn ihr groß seid? Es ging dabei nie um eine Lebenssituation oder ein Gefühl, sondern um seinen späteren Beruf. Wir wollten Tierärzte oder Busfahrer werden und damit eine Arbeit zu unserem Traum machen. Wenn ich mit meinen Freunden oder mit Leuten rede, die ich abends treffe, wird mir eins deutlich: Die Leute wollen viele Dinge erreichen und haben viele Ideen, aber ich höre selten jemanden über seinen einen großen Traum erzählen. Sind Träume aus der Mode? Sind wir zu divers geworden und unsere Interessen zu weit aufgefächert, um all unsere Hoffnungen auf eine Karte zu setzen?

Ich traf einige ziemlich erstaunliche Menschen, einige mit traditionellen und einige unkonventionellen Herangehensweisen an das Leben und Glück, und das sagten sie mir, als ich fragte: Hat man heute noch Träume, oder sind sie ein Auslaufmodell?

oo

Anahita studiert Modedesign an der HTW und hat mit ihrem Bruder gemeinsam das schöne Musikcafé Klangwerk in der Kaiserin-Augustra-Straße aufgebaut. Seit ihrer Kindheit hatte sie den Traum als Musikerin mit ihrer Band um die Welt zu touren:

“Ich glaube als Kind hat man sehr idealisierte Träume. Als Erwachsener träumt man gar nicht mehr so unbedingt, vielleicht aus Angst, dass man sich diese Träume letzten Endes nicht erfüllen kann. Und das man, während man versucht diese zu erreichen, viele Erfahrungen auf dem Weg sammelt, die manchmal dazu führen, dass man alte Wege verlässt und neues ausprobiert. Doch Kindheitsträume verlassen einen nicht, sie passen sich nur unserem Leben an und entwickeln sich stetig weiter. Momentan denke ich schrittweise und setzte mir nahe Ziele als Träume, wie mein Masterstudium im Ausland und eine intensive Zeit mit meinen Freunden in einem Haus am Meer..”


Berk zog vor 3 Jahren nach Berlin, um Grafikdesign zu studieren und kreiert derzeit tolle Illustrationen in unserem Team bei iHeartBerlin. Tatsächlich ist der Artikel durch ihn inspiriert, denn er war einer der ersten Menschen, die ich in Berlin kennengelernt habe, der einen Traum hat, an dem er festhält:

“Ich habe diesen einen Traum, und das schon seit langer Zeit. Ich würde gerne nach Kopenhagen ziehen und eine als Graphic Designer bei Kinfolk arbeiten! Kinfolk ist eine einzigartige Publikation, die den Feinheiten des Lebens gewidmet ist, getopt durch atemberaubende Fotografie und ein tolles Layout. Nach meinem Abschluss werde ich mich definitiv dort bewerben. Alles was ich bisher kreiert habe, habe ich speziell für diesen nächsten Schritt in meinem Leben geschaffen. Ich hoffe, dass dieser Traum wahr wird, dann kann ich wirklich in Frieden sterben. Einen Traum zu haben motiviert dich und gibt dir ein gutes Gefühl! Nicht nur der Traum von einer Karriere, sondern auch, wie du letzten Endes dein Leben leben willst. “

 

 

Tabea lebt seit 3 Jahren in Berlin und studiert Digitale Medienkultur an der Filmuniversität in Babelsberg. Für sie ist es wichtig, sich nicht nur Träume zu bewahren, sondern sich das Träumen zu erlauben, aus dem vielleicht echte Ziele entstehen können.

“Träume sind mir total wichtig. Sie sind für mich nicht so konkret wie Ziele, und vielleicht auch nicht so erreichbar, aber das macht nichts. Meine Träume sind Idealbilder von meinem Leben, die ich mir ohne Einschränkungen ausmalen kann. Manchmal verliere ich mich darin, mir vorzustellen, wie es wäre, als Bestsellerautorin mit meiner Familie auf einer kleinen Insel im Golfstrom zu wohnen… oder eine millionenschwere Jetsetterin zu sein. Aber es macht Spaß, es inspiriert, und es erzählt mir viel über mich und wo ich mich grade in der Realität befinde. Oft werden aus meinen Träumen dann eben auch konkrete Ziele.”

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Ferry ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Gekonnt verbindet er seine Leidenschaft zu Reisen mit seinem Medizinstudium und erzählt, wie eine gefestigte Bahn wie seine einst aus einem Traum entstand:

“Träume sind die Wünsche unseres Unterbewusstseins. Als Teenager träumte ich vom Leistungssport. Das Training brachte Schmerzen. Die Verletzungen ließen mich vom Verständnis der Anatomie träumen. Aus Interesse entstand ein neues Gedankenspiel des Medizinstudenten. Heute stehe ich am Ende dieses Studiums. Dem Ende eines neuen Traums. Und ich träume weiter… in der Ferne steht ein Mann mit grauem Haar, weißen Kittel und einem Lächeln, welches so ungemein viel Ruhe ausstrahlt. Träume können in Erfüllung gehen und Träume können zerbrechen. Missen möchte ich keinen, denn sonst wäre ich nicht derjenige, der ich heute bin, damals war oder jemals sein könnte. Für die wahren Träume sollte man anfangen das Bett zu verlassen.”

Was ich dabei gelernt habe ist, dass das Träumen nicht aufgegeben wurde. Ganz im Gegenteil. Träume scheinen ein wichtiger Bestandteil des Lebens der Menschen zu sein, die ich befragt habe. Auch wenn sie nicht aktiv verfolgt werden, ist es gesund, sich zu erlauben zu Träumen, um sich besser kennenzulernen und eine Erwartung an sein Leben zu formen. Letzten Endes verändert Erwachsenwerden unsere Art zu träumen. Wir halten nicht mehr an einem Ziel fest, sondern öffnen uns für viele, um uns die Möglichkeit zu geben, eins der Ziele erreichen zu können. Groß oder klein, kurz- oder langfristig, Träume motivieren uns, uns zu Fragen, was uns glücklich macht. Letzten Endes stellt ein Traum lediglich einen Zustand in der Zukunft dar, der uns glücklich macht.

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Franziska

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