Sie sind unter uns!

Streetart in Berlin

Ich wollte es nie so richtig glauben. Berlin hat seine Urbanen Legenden und auch wenn sie vielleicht nicht so spektakulär sind wie die New Yorker, hatten sie für mich nicht unbedingt mehr Glaubwürdigkeit verdient. Schlüsselerlebnisse der letzten Tage haben mich etwas anderes gelehrt. Es stimmt. Die Schwaben sind unter uns. Als würden Aliens Berlin infiltrieren wollen, steigt ihre Zahl mehr und mehr. Unterirdische Tunnel, welche Ulm und Berlin verbinden, bringen das Alienvolk unauffällig in die Hauptstadt. Nach gründlicher Recherche und mehreren Gesprächen mit extraterrestrischen Schwabenwesen folgt die ausführliche Reportage nach dem Klick.

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Foto: Senor Lebowski bei flickr

Meinen Freundeskreis habe ich immer sehr als heterogen wahrgenommen. Von der Hure, bis zur Nonne, vom Hardcore-Metal-Labelbesitzer bis zum entmannten Topmodelfan war ich glücklich, alle Gender-Mainstream-Stempel auf meine Mitmenschen verteilen zu können. Auch die Herkunft, so dachte ich, wäre bunt durchgemischt und individualisiert. Immer wieder war ich erstaunt, wenn zum Beispiel bei geburtstäglichen Durchmischungen von Grüppchen die Hure und der Hard Rocker feststellen, dass sie beide aus Leutkirch kommen und gleich beginnen in Isch-Lauten zu kommunizieren. Erst dachte ich an eine Anhäufung von Zufällen, die gewiss einer mathematischen Wahrscheinlichkeitsformel entsprungen sind. Dann dachte ich an soziologische Siedlungsmuster. Jetzt bin ich von der Invasion durchweg überzeugt. Die Infiltration, die zunächst noch unachtsam und unbedacht erfolgte, wird immer raffinierter.

Gestern sprach ich mit einem Mädchen, welche mir gestand ebenfalls Ulmstämmig zu sein. Als ich fragte, warum sie keinen Akzent hätte, erwiderte sie voller Stolz, sie wäre vor der Umsiedlung beim Sprecherzieher gewesen. Eben dieses Mädchen schilderte mir, wie sich ihr Abschlussjahrgang (ihre Alienpeers) in den letzten Jahren in elliptischen Kreisen über unser Viertel verteilt und angesiedelt hat. Solche Überlebensstrategien sind in Berlin nicht übertrieben.

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Foto: rougerouge bei flickr

Letzten Sommer, als die Wärme den Menschen anscheinend zu Kopf stieg, wurde öffentlich gegen die Schwaben protestiert und gehetzt. Was ist bloß aus den guten alten Judenfeindbildern geworden? Haben uns die Schwaben jetzt den Brunnen vergiftet? Die Feindschaft kann ich persönlich nicht ganz nachvollziehen. Ja, sie sind eben anders, aber deswegen nicht unbedingt schlechter. Wovor sich die Menschen, glaube ich, am meisten fürchten, ist ihre Unsichtbarkeit. Wo früher die Feinde immer so leicht an große Nasen, dunkler Haut und Knoblauchgeruch bemerkbar waren, sind die Schwaben eben nicht so leicht zu identifizieren.

Dennoch bin ich der Meinung, dass Schwaben ein Recht haben hier zu sein. Sie kommen hierher, weil sie Berlin lieben und das halte ich ihnen zu Gute. Aber ehrlicherweise muss ich gestehen, dass ich hier gar nicht hundertprozentig objektiv sein kann. Denn obwohl man es nicht vermutet, schlummert auch in mir teilweise Alien-DNA, welche beim Konsum von Spätzlen immer wieder wachgerufen wird.

Denn ich bin ein Halbschwabe.

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Claudio

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