Muskelmänner mit Tiefgang?

Es gibt wenige Themen, die nicht schon von einer Vielzahl von Filmen durchleuchtet wurden. Aber wenn es um Männer geht, die sich für Geld ausziehen, fällt es schwer einen zu finden, der sich wirklich damit beschäftigt. Obwohl ich es nie gedacht hätte, ist also die männliche Strip-Szene in Filmen durchaus unterrepräsentiert. Oscar und Palme D’Or Gewinner Steven Soderbergh wirkt dem nun entgegen. Sein neuer Film Magic Mike zeigt halbnackte Männer, die ihre Hüften kreisen lassen und so das ausschließlich weibliche Publikum zu hysterischem Kreischen animiert…

Mike (Channing Tatum) ist tagsüber Bauarbeiter und nachts der Star im Strip-Club Xquisite. Der ehrgeizige 30-jährige Schönling spart auf einen eigenen Möbel-Laden, hat aber anscheinend auch kein Problem mit seinem momentanen Leben. Als er den 19-jährigen Adam (Alex Pettyfer) kennenlernt, führt er den Studienabbrecher in die Strip-Clique ein. Der Novize kommt sofort mit der Art der Männergruppe klar und seinen Tanzstil passt er schnell den Anforderungen an. Während Adam immer tiefer in die Xquisite-Welt aus Drogen, Sex, Tangas und Geld eintaucht, beginnt Mike sich langsam davon zu lösen. Von seiner Zuneigung zu Adams Schwester Brooke (Cory Horn) angetrieben, werden seine Ansichten kritischer, was speziell im direkten Vergleich mit Adams naiver Art auffällt.

Obwohl der Plot und das Ende von Magic Mike vorhersehbar und nicht besonders spannend sind, hat es Soderbergh doch geschafft einen interessanten Film zu kreieren. Das liegt vor allem an den gut durchdachten Charakteren die nicht so eindimensional sind, wie es Trailer und Zusammenfassung vermuten lassen. Mit jeder Szene dringt man ein wenig tiefer unter die Mikes perfekte Fassade. Auf der Suche nach mehr als er sich selbst eingesteht, animieren ihn die Fragen Brookes – die er sich selbst nicht beantworten kann – dazu seine Entscheidungen erneut zu überdenken. Adams Reise auf dem Weg zum Erwachsen werden ist spannend zu verfolgen. Obwohl er sicher in jedem Schritt Fehler macht, erweckt er doch auch einen ungeahnten Ehrgeiz, auch wenn dieser erstmal „nur“ fürs Strippen ist. Und dann gibt es da noch Dallas (Matthew McConaughey), der alternde Bestitzer des Xquisite und schleimige Moderator der Show. Es ist faszinierend ihm zuzuschauen und zum ersten Mal kommt der gold-orangene Glanz von McConaugheys Haut ihm zur Hilfe, statt uns davon abzuhalten ihn als Schauspieler ernst zu nehmen. Manche sprechen gar von einer Oscarreifen Leistung.

Magic Mike ist dennoch kein Meisterwerk das Zuschauer tief bewegt oder neue Perspektiven eröffnet. Aber es ist nach The Full Monty – der temporär strippende Männer in ihrer ganzen Amateurhaftigkeit darstellte – der erste Film der sich mit diesem Thema beschäftigt. Auf der filmischen Landkarte (auf der strippende Frauen zum Alltag gehören) ist dieser Film also ein Schritt in Richtung Gleichberechtigung, bei der objekthaften Darstellung menschlicher Körpern.

Die Zuschauerzahlen in Amerika sprechen allerdings Bände: Sie bestehen zum größten Teil aus heterosexuellen Frauen und homosexuellen Männern. Die Motivation an den Kinokassen ist somit wohl klar. Obwohl also unter dem ganzen nackten Fleisch eine Charakterstudie schlummert, machen die straffen Muskeln den Film zu einem Überraschungs-Erfolg in den USA ($38.2 Millionen hat er am ersten Wochenende allein eingespielt). Warum auch immer er Euch interessiert, der Film ist einen Besuch wert. Obwohl, wenn Ihr einen wirklich großartigen Film sehen wollt, haltet Euch lieber an Sex, Lies and Videotape, denn im Gegensatz zu Soderberghs 1989 Erstlingswerk, wird Magic Mike wohl keine Hauptpreise auf wichtigen Festivals absahnen.

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