Jedem Kiez seinen Rapper!

„Der Asphaltboden zitterte, es wummerte im Ohr, als ich an einen dicken Beat mein junges Herz verlor“ – das dicke B ist nicht erst seit gestern Inspiration für alle Formen von Musik- und Subkultur. Von Spandau bis Marzahn bietet Berlin, so sollte man meinen, genügend verdreckte Plattenbauwohnungen, um Beats zwischen dünnen Betonwänden zu basteln, die die wackeligen 16er von Hamburger Bonzenkindern und Frankfurter Bänkersöhnen locker in den Schatten stellen können. Doch obwohl unser allseits gehassliebter Moloch der Hauptstadt einen natürlichen Nährboden für waschechten Gangster Rap bietet, ist Berlin erst in den letzten zehn Jahren zu einem wirklich relevanten, wenn nicht dem relevantesten Hub deutschen Hip Hop Szene geworden.

Wer sich fragt, wie die einzelnen Kieze für diese Rap-Generation klingen und was alte Bekannte und junge Newcomer mit den ihn gegebenen, neuen Möglichkeiten der Kulturgestaltung anstellen, der sollte sich 16 Minuten für die Bars dieser Acts nehmen.

K.I.Z – (KREUZBERG)

Die Jungs von K.I.Z dürfen in unserer Liste natürlich nicht fehlen, denn mit ihren satirischen Texten über ein Leben zwischen Starallüren und Prekariat, zwischen Sexismus, Frauenrecht und Weltuntergang, sind sie mitten drin im Berliner Alltagsdiskurs – und vor allem mitten drin in ihrem heimatlichen Szene-Ghetto Kreuzberg. K.I.Z sind laut Tarek „sowas wie die Onkelz der Reggae-Szene“ – wer sie allen Ernstes noch nicht kennt, sollte sich lieber selbst ein Bild machen. K.I.Z sind schon seit 2005 am Start und waren bereits mit Berliner Kollegen wie Prinz Pi auf Tour. Was sie allerdings zu echten Helden Kreuzbergs macht, ist dass sie es geschafft haben, mit „Reclaim your U-Bahn“ vor dem U-Bahnhof Schlesisches Tor zu spielen (auch wenn das Ganze ursprünglich für einen U-Bahn Waggon geplant war, was zugegeben noch cooler gewesen wäre).

Erwähnenswert sind auch die exklusiven Frauenkonzerte am Weltfrauentag, sowie ihre Doppel-Kandidatur für DIE PARTEI. K.I.Z gehören die ersten beiden Plätze auf der Landesliste. Maxim kommentierte das damals vor dem Roten Rathaus mit den Worten: “Ich fand Macht schon immer richtig geil, und es macht mich jetzt schon auch sehr geil.” DIE PARTEI lässt sich übrigens in „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ übersetzen – was es mit der vermeintlichen Abkürzung K.I.Z auf sich hat, ist und bleibt wohl ein Mysterium. Maxim feiert sie persönlich angeblich nur, weil sie so aggressiv klingt. Da K.I.Z. aber viel mehr kann, als allgemeines Aggressionspotential zu fördern, sind unsere Favoriten: Klosterschüler im Zölibat und, aus aktuellem Daueranlass: Kapitalismus ist Zauberhaft.

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Fargo – (TREPTOW)

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Fargo ist das neue Soloprojekt des ehemaligen Frontmannes der Berliner Indie-Rap-Pioniere The Love Bülow. Auch er hat eine Aussage – allerdings verzichtet er dabei im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen auf große Gesten – sein Credo lautet wie der Titel seiner ersten Single: Einfach sein.

“Wir nennen es Luxus, doch dabei schränkt es uns alle nur ein, ein Teil dieser reizüberladenen, alles begrabenden, nutzlosen Vielfalt zu sein.” – so heißt es in der ersten Rap-Hymne für unsere voll vernetzte, wie ratlose Generation Entscheidungsunfähig. Denn zu viele Möglichkeiten sind am Ende einfach nur unmöglich.

Mit Einfach FARGO – haben wir dem Tretpower auf motor.de in den letzten Wochen einen passenden Kanal für seine Inhalte geschaffen. Hier legt er seinen Fokus in Form von Songs, Gedanken und Interviews auf die Dinge, die wirklich wichtig sind. Ein- bis zweimal wöchentlich beschreibt der Rapper dabei seine Suche nach dem einfachen Glück in der Reduktion. Einfach FARGO – das steht für leben im Moment ohne nach mir die Sintflut, denn Fargo badet lieber im See, als seinen Müll reinzuschmeißen.

Mit seiner ersten Single über seinen minimalistischen Lifestyle mit maximalem Genuss erfindet Fargo den Pop-Rap sicher nicht neu, aber „kann es im Leben nicht einfach mal einfach sein“?

Wir stimmen ihm zu: Streicht die Optionen weg, lasst das Datenvolumen klein, geht nicht blind zum Date, guckt wieder hin und trefft eure Freunde. Denn Glück ist nicht kompliziert, nicht teuer und keine Idee, die irgendwo in der Zukunft liegt. Im Gegenteil. Man denke nur daran, wie glücklich man war, „als Fantasie noch König war“.

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Die Futschis – (LANKWITZ)

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In jeder guten Liste gibt es bekanntlich einen Geheimtipp – wir haben gleich zwei. Denn nach Fargo, der mit seinem neuen Projekt ja auch erst ganz frisch dabei ist, stellen wir euch jetzt unsere Lieblings Skat-Kollegen vor – allein weil es so cool ist, dass die beiden sich allen Ernstes bei einem Skatturnier in ihrer Stammkneipe kennengelernt haben. Die Futschis sind Kauz und Nordin – und nein, es handelt sich nicht um zwei alte Säcke mit Bierbäuchen, sondern ziemlich frische Lankwitzer Jungs. Ihr erstes Tape “Beats & Bratpfanne” veröffentlichten die Futschis erst 2015. Eine 30-minütige Reise durch die West-Berliner Innenstadt bei Nacht.

Seitdem produzieren und rappen die beiden, um dem alkoholisierten Pegel der skurrilsten Begegnungen ja keinen Abbruch zu tun, in einem ehemaligen Badezimmer, das zur Booth umfunktioniert wurde. Inklusive studioeigener Badewanne, versteht sich.

Hier entstand nun das neue Album “Futschifilm”. Der beste Albumtitel 2016 ist auch inhaltlich Programm: Das aus Film- und Fernsehcuts ge­bas­tel­te Intro ermahnt den geneigten Hörer schon zu Beginn: “Hören Sie mit ih­ren Kindern […] nur die Stücke an, die auch für sie ge­eig­net sind“.Weiter geht es mit Westberliner Jugendgeschichten über “Weinbrand und Hasch“ und “Taugenichts II”. Die Futschis wirken aso­zia­l, wie sym­pa­thi­sch – und das macht sie zu unseren Lieblings Rap-Vertretern Westberlins.

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MC Bomber – (PRENZLAUERBERG)

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MC Bomber nennt man nicht umsonst auch den »Ostberliner mit dem Westberliner Flow«. Im Bukowski Stil rappt er als wandelnde Antithese zum Prenzelschwaben vom „Leben in der Unterschicht des Prenzlauer Berges“. Dabei stützen seine Rhymes sich auf Boom Bap-Beats und knisternde Vinylsamples. Mc Bombers Tracks sind Rap in guter, Berliner Old-School Manier, obwohl er 2001 wohl noch heimlich von Papas Schnapsglas genippt hat, als Kool Savas M.O.R. bereits wieder verließ.

Zwischen Prenzlauer Berg und Wedding kennt man ihn auch als P.Berg Ayatollah, doch egal mit welchem Synonym – MC Bomber, das steht für absolute Respektlosigkeit, maximalen Drogenkonsum und totale political uncorrectness. Mit anderen Worten: Wenn der lustige Unsympath aus dem Gentribezirk mal wieder einen Track dropped oder einfach nur aus alter Sprayertradition ein paar Züge bombt, schlägt unser Berliner Assi-Rap-Herz wohlwollend im Takt seiner versoffenen Geschichten von der Straße – und dann kaufen wir „wegen freshness“ seine Platte…

Über die Autorin:

Unsere Gastautorin Viktoria Renner leitet das digitale Musik- und Lifestyle Magazin motor.de und schreibt über das, was sie antreibt, seitdem digitale Inhalte unsere zur treibenden Kraft unserer Medien geworden sind.

Sie hat Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin studiert und berät Unternehmen zu kulturellen Inhalten, wenn sie sie nicht gerade in ihren Artikeln bespricht. Sie und das Internet sind gemeinsam groß geworden und seit der ersten, mit bunten Presets überladenen MySpace Seite hat sich bei den beiden einiges getan, wie man auf motor.de unschwer erkennen kann.

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