Eine Nachricht an Berlin

Fotos: Jan Rückert

Liebstes Berlin,

Du bist eine sehr stressige Stadt.

Du bist laut, launisch und anstrengend. Aber Du bist auch gelassen. Zu Dir kommen die Paradiesvögel aus der ganzen Welt geflogen. Ein Käfig voller Narren. Ein Käfig ohne Gitterstäbe.

Du bist frei. Ich kenne keine Stadt die freier ist. Ohne Regeln. Höchstens mit Ihren eigenen.

Paradoxerweise war das erschöpfend für mich. Freiheit kann auch überfordern. Ein Hohn all den Menschen gegenüber die nicht in Freiheit leben. Das war mir klar. Und trotzdem.

Ich wollte Dich verlassen. Ich hatte schon meine Sachen gepackt. Im letzten Moment habe ich verstanden, dass das ein Fehler wäre.

Wir hatten es nicht leicht. Zu Beginn hatte ich große Erwartungen an Dich. Du auch an mich. Hast mich gefordert.

Ich fühlte mich verloren. Doch beim verlieren habe ich mich dann zufällig gefunden.

Mit Dir bin ich gewachsen. Auf dem Spielplatz für Erwachsene ein wenig erwachsen geworden.

Ich darf sein wie ich bin. In uns beiden schlagen mehrere Herzen.

Jogginghose und Glitzer, Weltretter und Weltzerstörer. Im Sommer die Leichtigkeit des Seins und im Winter die Schwermut des Nebels.

Nachts sind hier auch die grauen Katzen bunt.

Meine Hassliebe zu Dir wird vermutlich immer bestehen. Aber Du bist hart im Nehmen.

Ich habe verstanden, dass hier alles und nichts möglich ist. Jeder Tag wird neu erfunden.

Wer A sagt darf auch C sagen.

In Deine Familie aufgenommen zu werden war nicht leicht. Sie ist Neuen skeptisch gegenüber. Sie ist schwieriger als andere Familien. Nach den ersten Missverständnissen haben sie mich akzeptiert. Hinter der rauen Fassade steckt ein rauer Kern.

Doch in diesem rauen Kern steckt meist ein Herz aus Gold. Oder eins aus Konfetti.

Deine Familie ist so bunt wie die ganze Welt. Kulturen verschmelzen hier. Umso größer und unterschiedlicher eine Familie ist- umso mehr Konfliktpotenzial ist vorhanden. Gleich und ungleich gesellt sich hier gern.

Und es funktioniert. Es ist keine konservative, ruhige Familie. Bei Dir wird geschrien, gelacht und manchmal fliegen die Fäuste. Doch am Ende des Tages ist diese Chaosfamilie wieder vereint.

Ich bin glücklich und stolz Teil Deiner Familie zu sein.

Ich werde nachher auf Dich anstoßen.

Auf Dich und auf mich.

Auf uns Berlin

* * *

Text: Marie F. Trankovits, Fotos: Jan Rückert

Marie F. Trankovits, 31 – quer durch die Welt gezogen bis Sie sich vor 6 Jahren in Berlin verliebt hat. Sie arbeitet momentan an Ihrer Schreibkarriere.

Jan Rückert ist ein Fotograf aus Berlin, der seine schönen Fotos der Stadt auf seinem Instagram Account instalyrik_ teilt und auf seinem Blog pixellyrik über Fotografie und Technik schreibt.

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