Jessica – der weibliche Jesus kommt zurück an die Volksbühne Berlin

Hast du dir jemals vorgestellt, halluzinogene Drogen zu nehmen, bevor du dir ins Theater gehst? In dem neuen Stück Jessica an Incarnation der Volksbühne Berlin kannst du die Erfahrung machen, ein Videospiel der Welt auf LSD zu spielen, ohne welche zu nehmen. Lohnt sich das? Das hängt von deinem Durchhaltevermögen ab. 

Das neue Stück Jessica an Incarnation ist eine futuristische Geschichte aus einer scheinbar sehr vertrauten Gegenwart. Jessica ist ein moderner Prophet, der weibliche Jesus, der Messias, auf den alle gewartet haben, um sie zu retten. Sie sieht aus, als wäre sie gerade vom letzten Burning Man-Festival entkommen oder könnte mit Nicole Kidman in “Night Perfect Strangers” mitspielen. In dem Stück ist sie eine futuristische Schamanin, die im Silicon Valley ein Biotech-Unternehmen gegründet hat, das verspricht, dich mit all Ihren längst vergangenen und verdrängten Erinnerungen in Kontakt zu bringen. Vielleicht sogar aus deinem früheren Leben. Ohne zu viel von der Geschichte zu verraten, die an manchen Stellen etwas verwirrend ist, ist das Theaterstück von Susan Kennedy und Markus Schwelg ziemlich besonders, wenn man noch nie etwas von den beiden gesehen hat. Anstatt live zu sprechen, werden qll3 Schauspieler von aufgezeichneten Stimmen synchronisiert. Was sich anhört wie Rupauls Lip sync for your life, hat tatsächlich eine ziemlich verstörende Wirkung auf den Zuschauer. Es lässt die Schauspieler noch künstlicher aussehen und wirken. Wie echte Avatare oder Videospielfiguren. Überhaupt wirkt das ganze Stück wie ein Super-Indie-Videospiel. Das gesamte Bühnenbild und das Artwork basieren auf der aktuell gehypten Ästhetik von 3D-Modelling und AI-Artworks. Das ist natürlich immer ein bisschen ironisch kommentiert. Können künstliche Intelligenz und Avatare das gute alte Theater übernehmen? Nun, hier sieht alles danach aus, als hätten sie es bereits getan. 

Das künstlerische Duo der Regisseurin Susanne Kennedy und des Künstlers Markus Selg hat mich bereits mit ihrem Stück Coming Society an der Volksbühne 2019 sehr beeindruckt. Dort konnte man als Zuschauer eine futuristische Gesellschaft betreten und mit dem Darsteller über die Bühne mitgehen. Das war noch die gute alte prä Covid-Zeit, in der man noch ins Theater gehen und eine interaktive Performance hautnah erleben konnte. 

Ich hatte also hohe Erwartungen an ihre neue Aufführung und ich muss sagen, dass ich nicht enttäuscht wurde. Wer auf abgefahrene Kunst steht, die einem neue visuelle Impulse gibt und die aktuellen Trendthemen Tech-Spiritualität, Pesudo-Schamanismus und digitale Realität reflektiert, sollte sich unbedingt das Stück ansehen. Es ist (fast) komplett auf Englisch und mit deutschen Übertiteln.Das Einzige, was mich persönlich etwas gestört hat, war das langsame Tempo, mit dem sich die Avatar-Darsteller und die ganze Erzählung entwickelt hat. An manchen Stellen hatte ich das Gefühl, ein Videospiel mit einer sehr langsamen Ladezeit zu spielen. Aber vielleicht war das notwendig, um die falsche Illusion eines falschen Lebens in einer falschen Welt zu schaffen.

 

JESSICA – an Incarnation

von Susanne Kennedy und Markus Selg

24, 25.2. – 19.30 . 27.2. , 6.3. – 18.00 , 27.3. – 19.30

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Linienstraße 227, 10178 Berlin

www.volksbuehne-berlin.de

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Claudio

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