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Seit unserem ersten Blogpost haben wir uns der Aufgabe verschrieben, Berlin in seinen vielen Facetten einzufangen und zu dokumentieren, damit die ganze Welt einen Einblick in diese wunderbare Stadt haben kann. Uns war dabei immer wichtig, dass wir sowohl die Bewohner*innen dieser Stadt, als auch Besucher*innen damit ansprechen, egal wie lang sie hier sind und egal von wo sie ursprünglich kommen. Unser besonderes Augenmerk gilt hierbei jenen Menschen, die hierhergekommen sind und bei der Umsetzung ihrer Projekte ein Stück aus dem Teil der Welt mitgebracht haben, aus dem sie gekommen sind. Denn Berlin ist niemals nur Berlin – es ist ein Potpourri mit Einflüssen aus der ganzen Welt. Und das ist auch gut so.
Die neue interaktive Ausstellung BERLIN GLOBAL, die letzte Woche feierlich im neuen Humboldt Forum eröffnet hat, geht hier genau den umgekehrten Weg, denn sie zeigt Berlin mit all den Fußspuren, die diese Stadt in der Welt hinterlassen hat. Wir finden diesen Ansatz überaus spannend, weshalb wir einen genaueren Blick auf die Ausstellung geworfen haben.
artwork: How&Nosm
artwork: Rocca & Seine Brüder, photos: Oana Popa-Costea
Die Unmögliche Aufgabe, Berlin zu Erfassen
BERLIN GLOBAL ist das Ergebnis der langen, gemeinsamen Arbeit von Kulturprojekte Berlin und der Stiftung Stadtmuseum Berlin mit dem überaus ambitionierten Ziel unsere doch mehr oder weniger verrückte und unkonventionelle Stadt in einem sinnvollen Großen und Ganzen zu erfassen. Ist das überhaupt möglich? Oder vielmehr: ist es überhaupt nötig? Wenn man sich im Vorfeld versucht über die Ausstellung schlau zu machen, aber auch, wenn man dann endlich durch die vielen Ausstellungsräume wandert, merkt man schnell: Berlin lässt sich einfach in keine bekannte Form pressen. Die Stadt hat sich so oft gewandelt und neu erfunden. Das spiegelt sich in so vielen Details wieder, wie in der Architektur, den multiplen Stadtzentren, oder den eklektischen Bewohnern.
Die Ausstellung fängt diese widerspenstige und eigensinnige Natur Berlins sehr gut wieder. Denn obwohl sie sich nach einem bestimmten System aufbaut – jeder Raum hat ein eigenes Thema, welches verschiedene Aspekte Berlins behandelt – bekommt man schnell den Eindruck, dass jeder neue Raum, das bekannte System eigentlich direkt wieder über den Haufen wirft. Das macht die Ausstellung unheimlich spannend, denn selbst wenn man sich über die verschiedenen Themenfelder vorher schon informiert hat, wird man eigentlich immer wieder überrascht.
Ein Kritischer Blick auf Berlin’s Vergangenheit und Gegenwart
Den Einstieg in BERLIN GLOBAL macht man im Raum Weltdenken inmitten eines riesigen Wandbildes des Künstlerduo How&Nosm kuratiert von Yasha Young, die das Berliner Street Art Museum Urban Nation aufgebaut hat. Hier wird man schon sehr gut auf den auffällig kritischen Ton der Ausstellung eingestellt, der ziemlich im Kontrast zu den öffentlichen Kontroversen des Humboldt Forums steht. Auf drei der vier Wänden geht es um Kolonialismus und seine Auswirkung, aber auch um kulturelle Aneignung. Dieser wichtige und kritische Blick zieht sich durch die gesamte Ausstellung, die mitunter auch Kolonialismus Propaganda, Rassismus, die Punk- und Hausbesetzer Szene, Gentrifizierung, die Genderbewegung und Frauenrechte beleuchtet. Während anderen Ausstellungen im Humboldt Forum vorgeworfen wird, sich einigen dieser Themen nicht zu stellen, nimmt BERLIN GLOBAL hier kein Blatt vor den Mund. Das passt in meinen Augen sehr gut zu Berlin, was sehr gut darin ist, auch die negativen Aspekte seiner Geschichte nicht auszusparen.
Von dem Wandbild geht es weiter in Räume zum Thema Revolution, Krieg, Grenzen, Freiraum, Vergnügen, Mode und Verflechtungen, was so ein bisschen die grobe Geschichte des letzten Jahrhunderts bis heute beschreiben könnten. Ein interessantes Detail: in der Achse zwischen den Bereichen Freiraum, Grenzen und Vergnügen befindet sich ein ganz besonderes Exponat: Die original Stahltür des legendären Tresor Clubs aus der Leipziger Straße – eine gute Symbolik dafür, dass auch Orte des Vergnügens eigene Grenzen haben, die durchaus kritisch zu betrachten sind.
Der Preis des Vergnügens
Auf den Bereich Vergnügen, hatte ich mich bei meinem Besuch besonders gefreut, denn ich war gespannt, wie dieses für Berlin wichtige und übergeordnete Thema in der Ausstellung dargestellt wird. Und wie eigentlich auch in allen anderen Räumen wurde ich hier überrascht. Wer hier eine kleine Historie des Berliner Nacht- und Kulturlebens erwartet hat, der könnte sich wundern. Zwar fokussieren einige der Exponate, die sich zum Teil in riesigen kupferfarbenen Kugeln verbergen, auf die verschiedenen Musikstile, die in Berliner Tanzlokalen zu hören waren und sind, oder auf die reichhaltigen Events die in Berlin stattgefunden haben, aber es geht auch um weiße, koloniale Sichtweisen auf die Welt, um Rassismus in der Unterhaltungsindustrie, und um die Verfolgung von jüdischen Künstler*innen im Nationalsozialismus. Bei all dem Vergnügen wird man hier auch ganz schnell nachdenklich.
Ein weiterer, sehr spannender Aspekt der Ausstellung zieht sich wie ein roter Faden durch alle Räume und beginnt direkt hinter dem Eingang mit der Registrierung eines Armbandes, welches man erhält. Bei jedem Übergang zu einem neuen Bereich hat man die Wahl zwischen zwei Türen, die jeweils für eine andere Antwort auf übergeordnete Fragen stehen. Welche Antwort man beim Durchschreiten der Türen jeweils wählt, wird registriert und am Ende ausgewertet. Man nimmt damit direkt Bezug zu den Themen der Ausstellung, zum Beispiel: “Ich sorge mich um die Welt” im Gegensatz zu “Ich kümmere mich um mein Umfeld”, oder “Ich will eine soziale Stadt” im Gegensatz zu “Ich will eine offene Stadt”. Keine der Antworten sind so wirklich das komplette Gegenteil, und somit ist es manchmal gar nicht so einfach, sie klar zu beantwortet. Wie so vieles im Leben, befindet sich vieles in einem Graubereich und ist nicht einfach schwarz oder weiß. Das Ergebnis am Ende der Ausstellung hat mich ziemlich überrascht, genau deshalb, weil man sich über manche Nuancen wenig Gedanken macht, was sie eigentlich bedeuten im Gesamtkontext.
Berghain outfits, photos: Oana Popa-Costea
Der Besuch von BERLIN GLOBAL, hat sich auf jeden Fall anders angefühlt, als ich es je erwartet hätte. Mit meinem zugegebenermaßen von Berufswegen sehr positiven Blick auf die Stadt, war ich vielleicht weniger auf die nachdenklichen und ernsten Momente der Ausstellung gefasst. Aber ich weiß sie sehr zu schätzen, insbesondere weil das Humboldt Forum diese Note an Selbstreflexion und Geschichtskritik gut gebrauchen kann.
Bei BERLIN GLOBAL gibt es wahnsinnig viel zu entdecken, man merkt, wieviel Aufwand und Liebe zum Detail in die Ausstellung geflossen ist, und wie aufwendig die ganzen Aufbauten und Technik ist. Besonders die modernen, interaktiven oder beweglichen Elemente der Ausstellung machen Spaß und geben dem Ganzen eine andere Dimension. Wer sich wirklich für Berlin interessiert und die Stadt mit ihrem Einfluss auf die Welt ein bisschen besser begreifen will, der kann hier unheimlich viel lernen und verstehen. Und wem es einfach um das reine Vergnügen geht, der wird auch hier fündig, und sei es um ein kleines Tänzchen im Inneren einer großen Discokugel…
photo: Oana Popa-Costea
Die Ausstellung ist in ihren ersten 100 Tagen kostenlos. Zeitfenstertickets bekommt ihr hier.