Digital Pride: Zusammen trotz Distanz 

Wie zeigt man Zusammenhalt und Zugehörigkeit in Zeiten von Social Distancing? Berlins queere Community wagt sich in virtuelle Gefilde, um darauf Antworten zu finden. 

Das Jahr 2020 war hart – für uns alle, aber besonders für die globale Queer-Community. Während in Ungarn versucht wird, Transsexuelle ihres Rechts auf Anerkennung ihres Geschlechts zu berauben, Großbritannien und die USA im Begriff sind wichtige Antidiskriminierungsgesetze gegen queere Menschen zurück zu nehmen und Polen ein Drittel des Landes zur so genannten “LGBT-freien Zone” erklärt hat, ist institutionalisierte Homophobie vor Berlins Haustür angekommen.

Mehr denn je müssen queere Menschen Widerstandskraft unter Beweis stellen und brauchen diese Zeit um unsere Identität zu feiern und Solidarität mit all jenen zu zeigen, die es noch nicht können – doch genau jetzt befinden wir uns inmitten der größten Pandemie des letzten Jahrhunderts.

Wie können wir den Geist der Pride-Bewegung am Leben erhalten, wenn unsere Hauptform des Protests – kollektive Sichtbarkeit – zu einer Gefahr der öffentlichen Sicherheit geworden ist?

Die meisten  Pride-Paraden sind in den letzten Jahren immer größer geworden. Organisierte Veranstaltungen mit Dutzenden von dekorierten Autos, tausenden leicht bekleideter Teilnehmer*innen, Bass-lastige Musik, die aus riesigen Lautsprechertürmen dröhnt und überall Glitzer – für viele ist das nur noch Party und hat wenig mit den ursprünglichen Stonewall-Riots im Juni 1969 zu tun, die von  Trans-Aktivist*innen of Color in New York City angeführt wurden.

photo: Tomer Versace

Die Black Lives Matter-Bewegung zeigt derzeit, dass die Straße immer noch mit die wichtigste Form des Protests darstellt – und solange Maskenpflicht und Abstandsregeln eingehalten werden, muss diese Form der Demonstration kein notwendiges Risiko darstellen. Diesem Prinzip folgt auch eine initiativ organisierte Alternative Pride Demo in Berlin an diesem Samstag.

Die großen Paraden sind jedoch abgesagt worden. Und Queers auf der ganzen Welt haben die Suche nach Lösungen in digitale Räume verlegt, um sich zu connectem, Ideen zu finden, und Lösungen zu  konzipieren, wie man auch online Sichtbarkeit erlangen kann

Unicorns in Tech, ein globales Netzwerk von Queers, die in der Tech-Szene arbeiten, hat kürzlich einen digitalen Hackathon veranstaltet, bei dem innovative Lösungen für genau dieses zeitgenössische Problem im Vordergrund standen.

Im Laufe von zwei Tagen trafen sich mehrere Teams über Zoom, um einen “Rainbowprint” zu erstellen, der eine originelle Idee darstellt, das Problem zu “hacken”.

“Diese Challenge hat mir die Augen dafür geöffnet, dass unsere Community einzigartige Ideen zum Leben erwecken kann, wenn sie zusammen hält – und das ganz ohne finanzielle Unterstützung”, berichtet Jonathan Rodriguez, ein Berliner Designer und Art Director, vom Event.

photo: Vova Popov

“Unser Team beispielsweise eine Plattform vor, um online einen Community-Space zu organisieren und mit Leben zu füllen,” berichtet der Kreative. “Die Idee bestand darin, den Nutzer*innen monatlich Themen oder Aufforderungen vorzuschlagen und die queeren Stimmen aus aller Welt dann zusammen auf einer Karte und einem Feed zu sammeln. Das würde bspw. mit “Zeigt euren Pride – wer seit ihr und was ist Pride für euch?” und ginge weiter mit Aufforderungen wie “Wie können wir unserer Community in Polen helfen?” Die Idee war als eine Möglichkeit gedacht, um sich zu “treffen”, seine Identität auszudrücken und einander zu bestärken, aber es ist kann auch ein Raum darstellen, um den derzeitigen Gesellschaftszustand zu verändern, Menschen und Städte zu verbinden und Dinge wirklich geschehen zu lassen. Wir sind zahlenmäßig so stark – wir müssen nur zusammenkommen”.

Und nicht nur queere Techies haben es sich zur Aufgabe gemacht, den queeren Geist in den Cyberspace zu tragen: Angeführt von Berlins sex-positivem Enfant terrible Pornceptual und Londons berüchtigtem Klub Verboten haben sich fünf globale Queer-Kollektive zusammengeschlossen und veranstalten ab Freitag, dem 26. Oktober, ein zwei-tägiges Online-Event, die den Teilnehmer*innen eine interaktive Erfahrung bieten möchte, durch Panels, Performances und DJ-Sets.

photo: Sex Drive I Vlad + Panda (Pornceptual)

“Der digitale Raum ist für viele LGBTQI+ Menschen kein unbekanntes Territorium, da dies die Räume waren, in denen viele von uns die ersten Schritte zur Erforschung unserer Identitäten unternommen haben,” schreiben die Organisatoren und wollen das Bewusstsein für “Solidarität, Identität, Kollektivität und Widerstand gegen Gewalt und Diskriminierung” schärfen. “Es ist jetzt wichtiger denn je, so laut wie möglich zu sein und sich mit Mitglieder*innen unserer Gemeinschaft zu vereinen. Isoliert, aber gemeinsam. Entfernt, aber verbunden.”

Berlin ist für viele eine freie Insel, besonders für queere Menschen, die Freiheit in Berlins einzigartigem Hedonismus und Laisser-faire-Haltung finden. Doch insbesondere angesichts jüngster globaler Ereignisse kann queerer Aktivismus nicht länger eine lokale Angelegenheit bleiben. Trotz aller Rückschläge könnte uns das Jahr 2020 vielleicht die Augen öffnen für digitale Möglichkeiten der queeren Solidarität und Unterstützung, die allzu lange ungenutzt geblieben sind.

Die Frage ist also nur: Werden wir sie auch nutzen?

photo: Kyle (Pornceptual)

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Andy

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