Labyrinth of Lies, Artwork: Sven Sauer.
Ein Kleingeist bleibt ewig gefangen in seiner subjektiven Wahrnehmung. In einer Welt, die er meint als Wirklichkeit bezeichnen zu können. Er greift zurück auf seine persönliche Erfahrung und Meinung. Die eigene Meinung bedeutet paradoxerweise oft das eifrige Nachplappern vermeintlich guter Meinungen von vermeintlich guten Menschen. Die wenigsten vertreten tatsächlich ihren eigenen Standpunkt. Geschweige denn, diesen ab und an kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls einen Denkfehler einzugestehen.
„Der denkende Mensch ändert seine Meinung“ sagte Friedrich Nietzsche.
Tatsächlich ist das aber ein höchst seltenes Phänomen. Lieber wird das eigene Gedankengut durch ähnlich Denkende fortwährend bestätigt und bestärkt.
Doch was, wenn einem diese subjektiven Eindrücke des Lebens zu wenig sind? Wie kann man der eigenen Engstirnigkeit entfliehen? Ist unser Geist nun mal auf nur einen und nicht auf mehrere Körper verteilt.
Urban Nation, Artwork: Herakut.
Die Kultur bietet eine Chance all der vorprogrammierten Borniertheit zu entkommen. Gerade die Kunst ist eines der Wahrzeichen von Zivilisation, von Geistigkeit und Kultur. Ohne sie wären wir nicht viel mehr als ein Oktopus. Ein hochintelligentes Wesen, das dennoch vollständig seinen Trieben unterlegen ist. Aber der Mensch kann so viel mehr sein.
Er kreiert, er schafft, er ist ein Visionär. Fantasie, Vorstellungskraft, Tatendrang. Die Kunst, eine Welt der unendlichen Möglichkeiten. Fantasie wird zu Kunst und Kunst ist zu Materie gewordene Fantasie. Vielleicht eines der höchsten Güter, die der Mensch besitzt.
Oft sind der Ursprung, der kulturellen Kreationen tiefe Gefühle wie Schmerz, Liebe, Angst, Euphorie und Hass. Die Fähigkeit, um die Ecke zu denken, unduldsam nur dem spießigen Kleingeist gegenüber. Menschen im Besitz tiefer Gefühlsozeane liegt oft das Künstlerische. Ein Ventil für kraftvolle Seelen in einer grobschlächtigen Welt.
Menschen, welche wenig empfinden, sind wiederum von den kleinsten Gefühlsregungen zutiefst beeindruckt. Geradezu erschüttert. Was nicht den Leib aus Fleisch und Blut betrifft, ist eine zu ungewohnte Sinnessensation. Vielleicht sollten sich gerade diese Menschen mehr mit Kultur und Kunst auseinandersetzen.
Monalisa, rekreiert von den Dixons, Tank, Weisse Seite und FIX77
Denn der Verzicht auf Kunst bedeutet der Verzicht darauf, das Leben aus den Augen eines anderen zu betrachten. Es ist dann leicht zu meinen, die eigenen Erfahrungen seien die einzig wahrhaftigen.
Dabei gibt es so viele Wahrheiten, so unterschiedliche Realitäten. Ist doch auch die Wahrheit des einen die Lüge des anderen.
In Romanen und Gedichten, kann Jedermann und Dutzendmensch in die Rolle einer Königin, die eines Verfolgten, in die eines Bettlers und die eines Sterbenden schlüpfen. Jede noch so extreme, oder auch ungewöhnliche Erfahrung, einer hat sie sicher vor uns einmal erlebt und in einer Kreation zum Ausdruck gebracht. Gemälde, Musikstücke, Tänze: alle erzählen eine Geschichte.
Sie lassen uns hinein in die Gehirne und Herzen von jemandem, der vielleicht unser Nachbar ist oder seit Hunderten von Jahren nicht mehr hier. Und es wird klar, dass man sich im Geiste außerhalb von Zeit und Raum verbinden kann.
Halle am Berghain, Ausstellung “Workers”
Der Horizont wird erweitert, ohne die Couch zu verlassen. Ein Geschenk für die, die von Krankheiten an das Bett gefesselt sind. Eine Wohltat für jeden, der umgeben ist von primitiven Geistern, die nur nach körperlichen Befriedigungen trachten. Ein fiktiver Charakter wird zum guten Freund. Die Kunstfigur, ungekünstelter als jede reale.
Und glauben die einen tatsächlich immer noch, dass sie bestimmt die ersten sein müssen, die auf eine bestimmte Art empfinden, wissen die anderen längst um die Unendlichkeit der Empfindungen. Und die gleichen wie die einen sind im selben Augenblick überzeugt, dass wenn sie das Leben auf eine bestimmte Weise wahrnehmen, muss ein jeder andere es doch auch so erleben. Und die anderen lehnen sich bescheiden und staunend zurück, denn sie wissen schon lange, dass es nicht die eine wahre Realität gibt.
* * *
Text: Marie F. Trankovits, Fotos: Frank R. Schröder/iHeartBerlin
Marie F. Trankovits ist quer durch die Welt gezogen bis sie sich vor 6 Jahren in Berlin verliebt hat. Sie arbeitet momentan an ihrer Schreibkarriere.