Der unerwartete Komfort des banalen Lebens zu Hause

Fotos: Roger Sabaté.

Was für eine verdammte Achterbahnfahrt. Ich bin sicher, die meisten von euch werden zustimmen, dass die letzten drei Wochen zu den intensivsten gehören, die wir je erlebt haben. Es ist kaum übertrieben, dass das, was jetzt gerade passiert, die größte gemeinsame globale Erfahrung ist seit… jemals? Ich glaube nicht einmal, dass die Weltkriege tatsächlich jedes einzelne Land der Welt sofort betroffen haben, wie es diese Pandemie gerade tut. Und ich schätze, dass selbst frühere Ausbrüche nicht so weit und so schnell gingen, denn damals war die Welt einfach viel weniger vernetzt als heute.

Aber während es draußen in der Welt verrückt ist, geschieht das, was die meisten Menschen im Moment wirklich erleben, auf einer viel kleineren Fläche. Für uns geschieht jetzt alles in unseren eigenen vier Wänden. Und wenn ihr, wie wir auch eure Arbeit aus dem Home Office verrichtet, dann ist aktuell der weiteste Weg, den ihr euch zu Zeit davon entfernt wohl der kurze Weg zum nächstgelegenen Supermarkt. Unsere Welt fühlt sich an, als sei sie bemerkenswert geschrumpft.

 

 

 

Mit jeder Woche, die vergeht, verblassen der Lärm, das Drama, die exponentiellen Diagramme ein wenig und werden langsam durch eine neue Realität mit improvisierten Live-Streams, einem Überfluss an Home Workouts und endlosen Telefongesprächen ersetzt. Wir grübeln darüber nach, wie es weitergehen wird, wie produktiv wir jetzt sein können oder sollten, und ob selbstgemachte Gesichtsmasken eine gute Idee wären. Wie lange auch immer, das scheint unser neuer Normalzustand zu sein.

Nach der ersten Woche war ich besorgt, dass wir alle einfach verrückt werden, wenn wir weiterhin mit schrecklichen Nachrichten und widersprüchlichen Informationen bombardiert werden. Aber ich glaube, viele von uns haben es irgendwie geschafft, den Informationsfluss so zu filtern, dass eine Art Routine und Normalität in unser Leben zurückkehren kann. Um unserer eigenen Vernunft willen.

 

 

 

Es ist in unserem Haus – und in unseren Köpfen – sicherlich weniger laut geworden. Wir haben die Zeit und die Aufmerksamkeit von der Pandemie und den Problemen, die wir deswegen erleben, genommen, um uns mit Aktivitäten zu beschäftigen, für die wir sonst vielleicht keine Zeit gehabt hätten. Wir müssen uns nicht dafür schämen, wenn wir uns der guten alten Ablenkung hingeben.

Mein Ehemann hat zum Beispiel seine erste Lasagne gemacht, weil er weiß, wie sehr ich sie liebe. Sie kam etwas knuspriger aus dem Ofen, als er erwartet hatte, aber ich habe sie trotzdem mit Freude verschlungen. In dem Bemühen, das Haus weniger verlassen zu müssen, um unseren gestiegenen Appetit auf süße Backwaren zu befriedigen, hat er sogar einen Kuchen für uns gebacken, was normalerweise nur an Geburtstagen geschieht. Wie sehr solche Kleinigkeiten in der heutigen Zeit wirklich unterschätzt werden, wurde uns klar, als wir die ersten Scheiben des Kuchens anschnitten und es sich wie Weihnachten als Kind anfühlte.

 

 

 

Es gibt diese seltsame Erwartung, die Situation aktiv anzugehen, einfach weiter zu arbeiten, als ob nichts passiert wäre, oder sogar mit all diesen Home Workout Routines auf Instagram Schritt zu halten. Aber um ehrlich zu sein, es fühlt sich so befreiend an, mich jetzt NICHT zusätzlich unter Druck zu setzen und einfach dem Fluss dieser alltäglichen Tage zu Hause zu folgen. Und das meine ich nicht auf romantische Weise, ich möchte jetzt einfach nur ein Blatt sein, das auf einem Fluss schwimmt.

Apropos Blätter: Ich habe begonnen, Pflanzen zu züchten und ein kleines Gewächshaus in meinem Wohnzimmer zu betreiben. Mit etwas Glück werde ich bald 30 neue Pflanzen haben. Ich habe auch begonnen, alle Bretter, Farben und Werkzeuge in meinem Haus zu sammeln, um zu sehen, welche lustigen Heimwerkerprojekte ich damit machen kann, um etwas Neues für das Haus zu schaffen. Jetzt, wo ich bewusster in diesem Nest leben werde, mache ich es mir besser so gemütlich wie möglich. Außerdem habe ich meinen Bart so kurz gestutzt, wie ich es noch nie in meinem Erwachsenenleben getan habe. Und ich habe auch stillschweigend jede Regel darüber aufgegeben, wie viel Schokolade und Eiscreme ich pro Tag konsumiere. Aber lasst uns das vielleicht nicht zu laut propagieren…

 

 

Kommt euch das alles ein bisschen bekannt vor? Ich wette, das tut es. Tatsächlich habe ich Beweise!

Ich habe einen neuen Kolleg in meinem iHeartBerlin-Team. Roger ist ein Fotograf aus Spanien, und wir hatten große Pläne, an vielen verschiedenen Orten und mit vielen verschiedenen Menschen hier in Berlin Fotos und Videos zu machen. Verständlicherweise liegen diese Pläne im Moment auf Eis, und in dem Bemühen, Roger während seiner Quarantäne zu beschäftigen, bat ich ihn, sein Leben in seiner Wohngemeinschaft mit seinen Mitbewohnern zu dokumentieren. Was ihr in diesem Artikel seht, sind seine Fotos. Ich habe ihm nichts über die Dinge erzählt, die ich in diesem Artikel erwähne, aber hier sind sie: Die Lasagne, der Kuchen, die Telefonate, das Schneiden der Haare, die Heimwerkerprojekte. Ohne es zu wissen, haben wir in unseren jeweiligen Wohnungen ein recht ähnliches Leben geführt.

Da wird mir klar, dass wahrscheinlich viele von euch in den letzten Wochen ein ähnliches Leben geführt haben, und das ist für mich ein unerwarteter Trost. Immerhin scheint dies die größte gemeinsame Erfahrung zu sein, die wir alle bisher auf der Welt erlebt haben…

 

 

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Frank

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Frank ist der Gründer und Chefredakteur von iHeartBerlin. Er fotografiert, macht Videos und schreibt Texte - in der Regel über das, was in Berlin gerade abgeht. Seine Vision und Interessen haben iHeartBerlin seit der Gründung in 2007 geformt - und Frank hofft, dass er noch viele weitere Jahre das Beste von Berlin hervorheben wird.