Sind jetzt auch noch alle auf Liebesdiät? Aus meiner Geliebten und mein Geliebter wurde „mein Partner“. Einzig zu toppen mit dem grauenhaften Begriff „mein Lebensabschnittspartner”, denn die große Liebe gibt es selbstredend auch nicht mehr. Vergesst die großen Gefühle und Dramen, welche Romanen und Opern ihren Nährboden gaben. Heute gibt es Definitionen und Gesetze.
Der Traum jeder Beamtenseele geht in Erfüllung, denn endlich ist alles genormt, alles ist in Kategorien einzuordnen- klare Regeln, klare Sprache- nur zu romantisch darf es bitte nicht sein. In Deutschland macht man ja auch einen Antrag, wenn man heiraten möchte-wie passend.
Man ist sich einig, dass Shakespeare Schuld daran sei, dass wir die Liebe romantisieren und völlig unrealistische Erwartungen an sie haben. Sich mit leidenschaftlichen Gesten oder bedachten Geschenken Mühe geben, um seine Liebe zu demonstrieren, das ist passé- schlimmer noch- mit aller Wahrscheinlichkeit wird dieses Verhalten zu einem toxischen Charakterzug deklariert, denn wie kann ein Mensch nur so viel Gefühl zulassen?
Geht die rationale, lieblose Liebe dann doch in die Brüche, blättert man sich hoch konzentriert, mit einer „Do“ und „Don´ts” Liste auf Dating-Apps durch einen Menschenkatalog, und entscheidet anhand von Körpergröße, Körpergewicht, Talenten, Beruf und der allgemeinen Präsentation, ob dies ein Mensch sein könnte, der das eigene Leben optimiert. Einen großen Unterschied zu einem Viehmarkt sehe ich da tatsächlich nicht. Jeder hat eine Liste parat und weiß genau, was Green- und Red-Flags sind.
„Toxische Verhaltensmuster“ werden direkt bei der ersten Verabredung (Rendezvous sind out) scharfsinnig erkannt, um denjenigen schnell zu streichen von der Liste, der potenziellen „Lebensabschnittspartner.“
Sollte man sich trotzdem zu jemandem hingezogen fühlen, der leider vermeintlich toxische Züge aufweist, dann entreißt man sich schnell dieser Gefühlsduselei, denn wahrscheinlich sind das sowieso nur die Hormone. Und selbst arbeitet man eifrig daran, nicht mehr ein Desorganisierter Bindungstyp, Unsicher-ambivalenter Bindungstyp oder Unsicher-vermeidender Bindungstyp zu sein und jeder möchte den Jackpot treffen, nämlich einen sicheren Bindungstypen treffen bzw. zu einem werden.
Die Liebe wird inzwischen tatsächlich ähnlich rational und kleinkariert behandelt, wie der Genuss des Schenkens, das seit Jahren in Verruf geraten ist.
Einzige Ausnahme: Die Selbstliebe. Bei diesem Thema kann man wohl gar nicht großzügig genug sein. Anstatt in andere, investiert man in sich. Alle arbeiten an sich selbst, aber kaum einer arbeitet ehrenamtlich. Wieso ist das eigentlich kein Trend? Auf diese Frage bekommt man meist die Antwort, dass nur wer sich selbst liebt, andere lieben kann.
Komisch, dass ich so viele kenne, die hoch zufrieden mit sich sind, viel Verständnis ihren eigenen Schwächen gegenüber haben-ihre Mitmenschen aber alles andere als liebevoll und empathisch behandeln. Links und rechts austeilen aber nicht einstecken können. Auf der anderen Seite gibt es genug, welche mit ihren inneren Dämonen per Du sind, sich vor Verzweiflung und Verachtung zerstören und es gleichzeitig schaffen, sich für andere aufzuopfern und mitfühlend und zärtlich ihrem Gegenüber zutreten.
Robin Williams, der letztendlich von seiner Traurigkeit umgebracht wurde sagte einmal: „Ich denke, dass die traurigsten Menschen immer alles tun, um andere Menschen glücklich zu machen. Weil sie wissen, was es heißt, sich absolut nutzlos zu fühlen, und sie nicht wollen, dass sich jemand anderes so fühlt.“
Das Glück lässt tatsächlich manch einen selbstgerecht, arrogant und kalt werden, wohin das Unglück in vielen die Empathie und das Bewusstsein dafür, ein guter Mensch zu werden nährt.
Bei der romantischen Liebe erschließt es sich mir noch am ehesten, habe ich die Beobachtung gemacht, dass wenn sich einer selbst zu sehr missachtet, die Schwärmerei, die ihm entgegengebracht wird, nicht nachvollziehen kann und abstößt.
Aber auch diejenigen, die sich für bereit halten die Liebe und Romantik in ihrem Leben zu empfangen verfallen immer häufiger der mageren Ausgabe dieser Gefühlswelt.
Aus einem unwiderstehlichen und aufwendig angerichteten Dessert wurde eine schlichte Bowl, welche nahrhaft und vernünftig ist. Das Herz verkümmert, dafür wird der Geist mit Social-Media Junk-Food gemästet.
Klingt das alles fürchterlich zynisch? Na klar! Aber einer muss das Kind doch beim Namen nennen. Romantik und Leidenschaft fehlen uns dringend auf dieser trostlosen Welt, die uns sowieso täglich mit so viel Unerfreulichem und Schrecken konfrontiert. Und bei all dem faden Pragmatismus wird eines übersehen: Liebe ist eine der unlogischsten und gerade deshalb eines der schönsten und größten Gefühlswelten der Menschheit. Kein Wunder, dass das Gehirn wie auf Drogen ist, wenn man sich wirklich verliebt.
Vermeintlich normale Menschen befreien endlich ihr wunderschönes Biest, das in ihnen schlummert, wenn es um das Thema Liebe geht.
Sich verzehren vor Sehnsucht, toben vor Enttäuschung aber auch dahinschmelzen vor Hingabe, Zuneigung, Größe und nun ja… – eben Liebe. Ein verliebter Mensch- egal wie prüde und langweilig er gestern gewesen sein mag – von Amors Pfeil getroffen sprüht er vor Passion und Großzügigkeit. Manch einer setzt seine Karriere aufs Spiel, würde sogar alles aufgeben, um eine wilde Romanze zu erleben oder der großen Liebe eine Chance zu geben. Menschen verlassen ihre Heimat, verkrachen sich mit ihren Familien, geben ihren letzten Cent aus und spenden, ohne mit der Wimper zu zucken, ihre Niere, um ihren Liebsten spüren zu lassen – kein Hindernis, kein Ego und kein Problem ist zu groß oder zu unüberwindbar, um einander nahe zu sein.
Wer tief liebt, wächst über sich hinaus und das Wohl des anderen wird plötzlich wichtiger als das Eigene. Eine Garantie, dass all diese Hingabe süße Früchte trägt – die gibt es natürlich nicht. Man kann alles geben, alles riskieren und doch wird einem das Herz gebrochen. Ich weiß aus Erfahrung, wie schmerzhaft Liebeskummer sein kann und doch würde ich ihn nicht missen wollen, wenn ich dafür das tiefe, wunderschöne emotionale Level und die innige Verbindung, welche man erreichen kann, wenn man aufrichtig liebt einbüßen müsste.
Zynisch ist für mich deswegen nicht der Frust an mangelnder Romantik auf der Welt und das Verlangen nach einem prallen Leben, sondern diejenigen, die nicht daran glauben.
Ein Zyniker ist doch der, der die Liebe wissenschaftlich erklären möchte und das Leben wie eine To-Do Liste behandelt.
Oder ist der Traum der Gefühlsverneiner tatsächlich zum Greifen nahe und wir werden demnächst alle mit einem perfekt programmierten Roboter zusammen sein? Ein gefühlskaltes Etwas, das einen aber nicht verletzen kann.
Eifersucht, Wut, Traurigkeit: all diese miesen Monster gehören dazu, um aufzuzeigen, wie besonders und großartig die Liebe ist. Nichts von Bedeutung birgt keine Risiken-ganz im Gegenteil.
Und nie ist man verletzbarer, als wenn man liebt. Ähnlich wie mit der Lust auf ein Leben, welches sich unter der Last an Erlebtem biegt. Ohne Risiken einzugehen, sollte man sich auf jeden Fall in keinem Lebensbereich viel erwarten.
Mir fehlen die, die sich mit Gefühlen betrinken und den Kater, welcher, so wie jeder anständige Rausch, eine vermeintlich fremde Seite in einem erweckt und einen verwirrt zurücklässt in Kauf nehmen, weil sich die Entfremdung vom angepassten Sein gelohnt hat. Diejenigen, die sich an Erfahrungen, Eindrücken, Gefühlen und Abenteuer nähren wollen bis sie platzen. Sich vollstopfen mit dem Genuss am Überfluss. Wo sind die, die nicht genug von den Zuckerseiten des Lebens bekommen?
Die Vorstellung, dass wir bald in einer virtuellen Welt leben, uns in unseren Wohnungen einsperren und uns weigern, wahrhafte Abenteuer zu erleben, das ist vielleicht die Fantasie von Menschen, die sich von Smoothies, welche alle wichtigen Nährstoffe in sich tragen, die es zum Leben braucht, ernähren wollen. Sicher aber nicht von den Gourmets, die sich vom Leben ein sieben Gänge Menü erwarten.
Also lasst sie uns einreißen, die Schutzmauern, die wir uns erbaut haben, denn mit diesen ist es unmöglich das Höchste der Gefühle zu erreichen. Das Leben will gelebt, die Gefühle gefühlt und die Liebe liebevoll behandelt werden.
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Text: Marie Trankovits, Foto: Alexander Krivitskiy, Jonas Tebbe