Ein ganz neuer Blick – LORE

Ich habe es selten erlebt, dass mich ein Film physisch krank macht. Aber nachdem ich am vergangenen Sonntag Lore geschaut habe, wollte ich einfach nur ins Bett und schlafen!

Mit fünf Kindern durch Nachkriegs-Deutschland zu reisen hat mich extrem angestrengt, aber was unter die Haut ging war der emotionale Achterbahn die die Kinder fahren, nachdem ihre Nazi-Eltern verschwinden und die Welt sich plötzlich gegen sie wendet…

Lore (Saskia Rosendahl) ist 15 als der Zweite Weltkrieg endet. Ihre Eltern waren Nazi-Verbrecher der ersten Riege, die ihre Überzeugungen natürlich auch ihren Kindern weitergegeben haben. Als Lores Mutter sich gezwungenermaßen zum Vater ins Gefängnis begibt, bleibt Lore mit ihren vier jüngeren Geschwistern, ihr kleinster Bruder ist erst ein paar Monate alt, zurück. Als ihnen das Essen ausgeht, beginnt die Reise durch Deutschland, immer mit dem Haus der Großmutter als Ziel. Der Hunger treibt die fünf durch ein verzweifeltes, entmutigtes, wütendes und trauriges Land. Im Grunde flackert hier nirgendwo ein Licht am Ende des schwarzen Tunnels.

Lore wurde zu einer „guten Deutschen“ erzogen, sie liebt Adolf Hitler, verächtet jeden jüdischer Herkunft und hofft auf den End-Sieg. Auf der Reise entfacht ein Mitreisender in Lore erste sexuelle Gefühle, die sie aber in noch tiefere Gewissenskonflikte stürzen. Ohne die Führung ihrer Eltern, nach Hitlers Tod und Deutschland in den Händen der Alliierten beginnt Lore sehr langsam ihre Erziehung zu hinterfragen. Es ist schmerzhaft ihr dabei zuzuschauen und schwer zu realisieren, dass der Zweite Weltkrieg eine gesamte Generation zerschlagen hinterlassen hat.

Auch wenn die Überzeugungen von Lore und ihren Geschwistern schrecklich sind,  spiegeln diese ja nicht ihre eigenen sondern die ihrer Eltern wieder. Das macht die Hitler Grüße und Hass-Sprüche noch schwerer zu ertragen, erlaubt aber Empathie statt Verachtung für diese Charaktere. Der Film hat mich komplett durchfahren, mir Gänsehaut verpasst und mich unerträglich traurig und gleichzeitig wütend gemacht.

Die Reise der Geschwister wird in fast poetischen Bildern eingefangen. Die vielen – meiner Meinung nach viel zu viele – Close-Ups und Slow Motions haben mir leichte Kopfschmerzen verpasst, aber vielleicht ist mir der Film auch deswegen so nahe gegangen. Egal woran es lag, ich habe keinerlei Distanz um mich dem Film kritisch zu nähern.

Aber eines möchte ich noch loswerden: Bitte geht Euch diesen Film anschauen. In 108 Minuten könnte sich der Blick auf unsere Groß- und Elterngeneration komplett verschieben.

Lore (R: Cate Shortland, AUS/DE 2012)

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