Soll Alles Bleiben, Wie Es Ist – Oder Doch Alles Anders Werden?

 

Das Jahr ist jung, relativ zumindest. Noch bleiben uns ca. drei Viertel des Jahres, um das umzusetzen, was wir uns vor einigen Monaten vorgenommen haben. Ganz nach dem Motto von Alain de Botton: „Wer sich nicht dafür schämt, wer er letztes Jahr war, lernt wahrscheinlich nicht genug.“

Silvester nehmen viele zum Anlass, sich selbst im Spiegel anzusehen und ehrlich zuzugeben, dass sich etwas ändern muss. Gehen mit sich ins Gericht und kommen zu dem harten, aber fairen Urteil, dass sie nicht zufrieden sind. Sie bewusst etwas ändern möchten und es wagen wollen alte Muster zu durchbrechen. Dann gibt es die anderen, die dieses Verhalten belächeln, abtun und sich mokieren, dass das typisch für Silvester sei und es keinen Sinn mache einmal im Jahr Bilanz zu ziehen.

Und auch Geburtstage bieten jedes Jahr aufs Neue den Anlass darüber nachzudenken, wie zufrieden oder unzufrieden man mit sich und seinem Leben ist.

Diesen typischen Geburtstagssatz: „Bleib so wie Du bist“ finde ich ziemlich befremdlich.

Die Geschichte der Menschheit, der Weg zur Zivilisation, die großen Durchbrüche, sowohl die persönlichen als auch die im Kollektiv fanden einzig aufgrund von Veränderung und Umbrüchen statt.

Wären unsere Vorfahren geblieben, wie sie waren; wir würden in Höhlen leben, mit ca. dreißig Jahren das Zeitliche segnen und ich würde wohl, völlig untauglich zum Jagen oder Feuer machen, die Wände mit Kohle bemalen.

Denn würden die Menschen Veränderung nicht annehmen, schlimmer noch, ablehnen und verharren, gäbe es weder Chance auf die persönliche noch auf die insgesamte Entwicklung der Menschheit.

Großes wurde von denen geleistet, die mit sich und der Welt, in der sie lebten, nicht zufrieden waren, die die bewusst etwas ändern wollten.

Wer deshalb ernsthaft von sich glaubt, dass er gut sei, so wie er ist, der hat, so lässt sich mutmaßen, keine Ansprüche an sich und sein Leben, keinen echten Ehrgeiz und letztendlich keine Motivation.

Und wer das einem anderen wünscht, sieht allem Anschein nach kein Potenzial, keine Hoffnung, dass sich der Angesprochene einem innerlichen, wie auch äußeren Wachstum stellen könnte.

Natürlich ist es nett gemeint. Und doch gilt mal wieder: „Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint.“

Und sollten uns nicht genau die Menschen, die uns lieben ehrlich sagen, dass wir etwas ändern müssen?

Es hört sich zugegebenermaßen erstmal großartig an, sehr angenehm und verlockend einfach. „Bleib wie du bist, verändere nichts, alles ist gut so wie es ist.“ Und natürlich ist davon auszugehen, dass bei dieser Plattitüde die positiven Seiten eines Menschen gemeint sind. Doch ich habe gelernt, dass es meist die Menschen sind, die nicht zufrieden mit sich sind, die ungewöhnliche Träume verwirklichen und große Ziele erreichen.

Gerade wo Potenzial oder etwas vermeintlich Herausragendes zu sehen ist, genau da muss gearbeitet werden. Und zwar hart! Investition bis zum Umfallen. Abstriche in Kauf nehmen, kurzfristig die Zähne zusammenbeißen, um langfristig stolz auf sich sein zu können.

Denn sonst läuft man Gefahr, Talent, zwischenmenschliche Beziehungen oder wahre Berufung ultimativ zu vergeuden.

Jeder der ein bisschen Lebenserfahrung hat, weiß, der einfache Weg macht selten glücklich. Es sind die Dinge, für die man bereit ist, kleine und große Opfer zu bringen, die die süßesten Früchte tragen.

„Du bist nicht ok, wie Du bist. Und Du wirst es nie sein.“

Ein provokanter, unbequemer Satz, der manchen verärgern und irritieren wird.

Doch der wahre Optimist, ein Kämpfer, jeder der sieht wieviel noch in ihm steckt, was alles im Leben möglich wäre, wird dem zustimmen. Es ist schon verdammt pessimistisch anzunehmen, dass der jetzige „Ist Zustand“ das Höchste der Gefühle ist.

Das Ziel sollte doch sein, nie ganz zufrieden mit sich zu sein. Nicht um sich zu bemitleiden und zu jammern, sondern um stetig an sich zu feilen und dadurch immer wieder aufs Neue über das bestehende Selbst hinauszuwachsen.

Sich immer wieder selbst zu revolutionieren. Was gibt es Erlösenderes als die innere Revolution? Krieg führen gegen die eigenen Schwächen und mit erhobenem Haupte den Sieg davontragen.

Doch ich kenne auch einen Schlag Mensch, der das anders sieht: Menschen, die sich selbst treu geblieben sind. Sogar damit kokettieren. Sich treu bleiben bedeutet jedoch auch, dass sie immer noch gleich denken, sich gleich kleiden, sich mit denselben Themen beschäftigen wie in ihrer Jugend. „Zwischen jung geblieben und hängen geblieben ist ein schmaler Grat“ sagt Felix Lobrecht und ich stimme ihm voll und ganz zu.

Nicht gemeint sind hier die die positiven und schönen Aspekte des sich treu- Bleibens.

Sich, was seine Grundwerte und Überzeugungen angeht, nicht verbiegen und fremdsteuern zu lassen ist meiner Meinung nach, eine höchst ehrenhafte Eigenschaft! Gemeint ist das sture Verharren in einer negativen oder sogar aussichtslosen Situation.

Denn ist das wirklich erstrebenswert? An einem bestimmten Punkt seines Lebens zu verharren und sich von diesem nicht fortzubewegen? Das höchste Gut, dass wir haben, sind die Stunden, die wir zu leben haben. Mit was und wem wir unsere Zeit verbringen. Der Countdown bis zum Grab läuft und zumindest ich möchte meinen wertvollsten Besitz, die Zeit, die mir bleibt, gut investieren. Mit Menschen verbringen, welche die besten Seiten in mir nähren, mich beschäftigen mit Dingen, bei denen ich immer wieder Neues lerne und vielleicht sogar jedes Jahr neu entscheiden, wer ich sein will. Manche Menschen schaffen es, in ein Leben dutzende zu packen und andere lassen sich von Zufall zu Zufall tragen und wundern sich dann, dass nichts Aufregendes passiert.

Mit jeder neuen Konfrontation im Leben erwacht potenziell eine neue Seite an uns. Verändert uns. Birgt Chancen auf Neues und Unentdecktes. Nur durch das Nichtstun und alles dabei belassen, wie es ist, bleibt man gleich.

Und leider neigen wir dazu, besonders nach schwierigen oder sogar traumatischen Erlebnissen innerlich zu versteinern. Die Zeit bleibt stehen, zumindest das Gefühl dieser Zeit. Das kann bedeuten, dass uns die Ängste unseres fünfjährigen Ichs im Griff haben. Oder die Wut unseres fünfzehnjährigen Ichs in angespannten Momenten überkommt.

Nur wenn wir uns mit diesem Erlebten konfrontieren- verstehen woher ein bestimmtes Verhaltensmuster kommt, können wir uns davon fortbewegen und schlussendlich vielleicht sogar überwinden. Verarbeitung und Überwindung bedeuten, dass man Veränderung zulässt, sie sogar herbeisehnt. Vom Stillstand nähren sich lediglich die Ängste und Schwächen.

Bereits als Babys lernen wir täglich neue Dinge, überwinden mit Begeisterung die ersten Hürden der Existenz. Eltern betrachten entzückt jede winzige Veränderung. Keine Mutter, kein Vater wäre stolz darauf zu sagen, mein Kind hat sich in den letzten Monaten überhaupt nicht verändert.

Nicht Optimismus, sondern Aktivismus brauchen wir.

In einer unglücklichen Beziehung optimistisch zu bleiben kann fatal sein.  Den Körper mit optimistischen Floskeln zu beruhigen, wenn er schreit, dass etwas nicht stimmt, kann sogar tödlich enden.

Aktiv etwas zu unternehmen, im besten Fall auch hier eine Veränderung vorzunehmen wäre doch viel ratsamer.

„Optimismus kann einen Tölpel davor bewahren, sein Versagen anzuerkennen“ so Arthur Schopenhauer.

Der reine Optimismus kann tatsächlich genauso lähmen, blind für die Realität machen, wie der reine Pessimismus. Diese zwei Gefühlswelten wechseln sich im Idealfall sowieso ab. Ohne das eine verliert das andere seine Bedeutung.

Es sind die aktiven Menschen, die vorankommen. Und das kann genauso der Pessimist sein, der unzufrieden ist und deshalb Veränderung herbeisehnt, wie der Optimist, der vor Tatendrang förmlich platzt.

Passivität und Ergebenheit lähmen, innerlich wie äußerlich. Kein Muskel wird ohne Schmerz wachsen. Und dass der psychische Schmerz eine Art Wachstumsschmerz der Seele ist, hat in düsteren Zeiten eine tröstende Wirkung.

Nichts von wahrer Bedeutung und Größe ist einfach. Also hören wir endlich auf, uns selbst mit Samthandschuhen anzufassen. Denn wir sind taffer als wir glauben.

Wenn man sich zufriedengäbe, damit so zu bleiben, wie man ist, das würde bedeuten, dass man keine Träume und Ziele hat.

Ein Leben ohne Träume und Ziele für die es sich zu kämpfen lohnt, welch bitteres Los das wäre. Die Revolution des Selbst wiederum, ein Traum. Wenn ihn jeder hätte, die Welt wäre wohl eine andere. Also rein in die Schlacht, ohne Rücksicht auf Verluste! Sich zumindest kurzweilig zu verlieren, um sich zu finden ist ganz normal- doch dafür wird man fürstlich belohnt!

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Text: Marie F. Trankovits, Foto: Christina Spiliotopoulou

 

 

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Marie

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Marie F. Trankovits ist quer durch die Welt gezogen bis sie sich vor 6 Jahren in Berlin verliebt hat. Sie arbeitet momentan an ihrer Schreibkarriere.