Kleine Anekdoten von flüchtigen Momenten unterwegs.
U-Bahnen sind voller Mythen. Ein Ort, den wir mit so vielen Menschen teilen, und trotzdem nicht immer gemeinsam erleben.
Ein Ort, dem kollektive Erinnerungen innewohnen; und obwohl meist nicht die Grenzen der persönlichen Erfahrung verlassend, schaffen es manche Momente, überzutreten in das breite Bewusstsein der Masse.
Sie war eine davon.
Zuerst nur sagenhaftes Gerücht — eingefangen in verwackelten Instagram-Videos und dumpfen Sprachnachrichten — verbreitete sich ihr Mythos entlang der U-Bahnlinie Acht, wie ein Lauffeuer an einem trockenen Augusttag.
“Hast du sie schon gesehen?”
Sie handelte stets gleich; die gleichen Spuren im Gedächtnis der Menschen hinterlassend, um so das Gedächtnis der Schwarmintelligenz für ihr außergewöhnliches Können zu sensibilisieren — eine clevere Ikone des kollektiven Bewusstseins.
“Sie ist heute in meinen Wagen gekommen. Sie war es wirklich!”
Eine Frau der subtilen Magie; Faltenrock, Kurzhaarschnitt und Nickelbrille, wohlwissend, dass ihr Talent kein bunt glitzerndes Beiwerk braucht — nur sie, ihr altes Mikrofon, und die immer gleiche, melancholische Melodie, aus den kleinen, tragbaren Plastik-Boxen schwirrend.
“Und diese Stimme. Einfach wow!”
Sie wurde zum kollektiven Moment des Schmunzelns in alltäglicher Monotonie, zum vertrauten Moment mit vielen in der kalten Masse der Anonymität.
Doch begegnete ich ihr nie.
Bis ich eines Abends in die rot aufleuchtenden Türen der U8 sprang.
Als ich mich keuchend auf einen der bunten Hartschalen-Plätze setzte, ertönte aus dem nächsten Waggon diese vertraute Klavier-Melodie….
“Eeevery night in my dreams, I seee you, I feeeel…”
Die Türen schlossen sich; ein flüchtiger Moment der Freude, dann ging ihre graziöse Stimme im erbarmungslosen Rattern der anfahrenden U-Bahn unter.
Am nächsten Bahnhof war sie bereits verschwunden, nur in meinem Kopf hallte ihre Stimme noch wieder.
Und so ging meine Suche weiter; bis ich dich finde — Titanic Lady.